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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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»Größtenteils bestehen sie aus der gleichen Substanz, obwohl sie aus unterschiedlichen Epochen und Schicksalslinien stammen. Sie warten ungeduldig darauf, sich wieder miteinander zu verbinden.«
    »Und unsere Art besteht aus derselben Substanz?«
    »Ja, würde ich sagen. Miteinander verschränkte Atome wechselwirken von neuem miteinander, indem sie mitgeführte Partikel austauschen, die Photonenspuren hinterlassen. Und das tun sie mit einer Geschwindigkeit, die höher ist als jede im Chaos – und mittlerweile auch sonstwo – mögliche.«
    »Heißt das, dass keiner der Besucher überlebt hat? Sind wir gescheitert?«
    »Wo steckt denn dieser Hüter? Vielleicht kann er uns helfen und abschätzen, wie viele Träumer hier versammelt sind.«
    »Es sind so viele! Ich kann unmöglich von allen geträumt haben.«
    »Ein Teil meines Plans sah vor, dass die Integralläufer und ihre Hirten gemeinsam hier auftauchen. Aber denk daran, dass es früher zahlreiche Weltlinien gab, viele Wege, die zur Kalpa
führten. Ich will ja nicht darauf herumreiten, aber dein Besucher hat es schon oft zuvor nicht geschafft, eine Verbindung zu dir herzustellen. Wie ja auch all die Marschierer da draußen im Chaos geschnappt wurden und in Fallen gelandet sind. Mittlerweile ist die Zahl der Pfade auf zwei begrenzt. Es kann sogar sein, dass es nur noch eine einzige Chance gibt.«
    »Willst du damit andeuten, dass du selbst früher unzählige Male hierhergelangt und dann gescheitert bist?«
    »Ausgezeichnete Frage. Wäre es überhaupt möglich, sich daran zu erinnern?« Das Epitom schien das Problem genüsslich abzuwägen. Bald darauf glättete sich sein Gesicht. »Nein, höchst unwahrscheinlich. Das hier ist der erste und einzige Pfad, den ich jemals beschritten habe.«
    Als Jebrassy die Hand wieder gegen die Finger seines eingeschlossenen Ebenbilds legte, sprang erneut ein blauer Lichtbogen zwischen ihnen auf. »Tut gar nicht weh«, sagte er. »Ist fast angenehm.«
    »Das reicht«, sagte Polybiblios und zog ihn von der Scheibe weg. »Wir wollen dich doch nicht mit den Verlorenen verschränken. Vielmehr müssen wir den Einen finden, der noch in Freiheit und lebendig ist … oder aber zu einem Ort gelangen, an dem er dich finden kann. Er wird wohl kaum ausgerechnet hier sein.«

103
    Während Ginny den Tunnel durchquerte, anfangs aufrecht gehend, später kriechend, spürte sie, wie der Stein in ihrer Hosentasche sie vorwärtsdrängte. Aber das tat er auf so sanfte Art, als wolle er Verständnis und Mitgefühl ausdrücken, vielleicht sogar eine Spur von Sorge. Sie war auch nicht in der Stimmung loszupreschen. Obwohl ihr klar war, dass sie sich nahe am Ziel befinden musste, wuchs ihr Zorn. Doch was sie in Rage brachte, war nicht die ziemlich auswegslose Perspektive, sondern etwas ganz anderes: Auch wenn sie sich recht gut geschlagen und es allein bis hierher geschafft hatte, so hatte sie eigentlich keine einzige selbstständige Entscheidung getroffen. Von Anfang bis Ende hatte sie die einzelnen Schritte nicht von sich aus getan, vielmehr waren sie ihr aufgezwungen worden. So weit ihre Erinnerung reichte, waren es stets stärkere Menschen oder die Umstände gewesen, die sie gelenkt oder auch in die Irre geführt hatten. Zweifellos waren selbst in diesem Moment andere Menschen unterwegs, um sie zu suchen und vor Schlimmem zu bewahren. Vor sich selbst oder vor Fehlentscheidungen.
    In Wirklichkeit hatte sie nie selbst am Hebel gesessen, sondern andere. Was daran liegen mochte, dass niemand ihr vertraute. Schließlich war sie bekannt dafür, ständig den falschen Weg zu nehmen und in ihr eigenes Unglück zu stolpern. Und trotzdem hatte sie es vor den anderen bis hierher geschafft.
    Bei allen Verzweigungen des Tunnels hatte sie unbeholfen, tölpelhaft und voll böser Vorahnungen stets den linken Weg gewählt, weil er ihrer Meinung nach am ehesten aus diesem
Labyrinth herausführte. Woher konnte sie das überhaupt wissen?
    Weil sie schon immer ein Tölpel gewesen war, stets den linken Weg gewählt und irgendwie wieder herausgefunden hatte.
    Wie auch jetzt. Sie kroch aus dem Tunnel, hockte sich in den düsteren, höhlenartigen Raum und lauschte.
    Stille. Weder Missfallensbekundungen noch Beifall.
    Völlig auf sich gestellt an einem Ort, den wohl niemand als Zuhause bezeichnet hätte.
    »Ich bin fix und fertig«, murmelte sie. »Hab’s satt, irgendein ferngelenktes Geschoss zu sein.« Durch den Hosenstoff tastete sie nach dem Stein, nahm ihn schließlich

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