Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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ihr in die Augen stachen.
    Tiadba hatte mit ansehen müssen, wie ihre Gefährten auf dem flimmernden, schwabbeligen Passweg in ein Loch befördert wurden, in einen weitläufigen düsteren Hohlraum. Es war so gewesen, als teilten sich von schwärenden Wunden eingefasste Lippen. Vorher hatte sie beobachtet, wie aufgedunsene,
sabbernde Wesen mit langen, zuckenden Beinen – böswillige Wesen – von fernen Mauern auf sie zuhuschten, sich nach unten beugten und mit ihren säbelartigen Beißwerkzeugen zustießen.
    Es waren Beißwerkzeuge, die rauchten und Funken sprühten.
    Die Wesen umklammerten ihre Opfer, durchbohrten sie und versengten sie zugleich, um danach mit ihnen in den Hohlraum zurückzuhuschen.
    Tiadba rollte sich zusammen. Wenn sie sich klein genug machte, würde sie sich vielleicht einfach in Luft auflösen. Alles schien an diesem Ort möglich.
    Sie schlug die Augen so lange auf, dass sie ihre angehobene Hand inspizieren konnte: Sie war von getrocknetem Blut verkrustet. Teile des Handschuhs – Fetzen des Schutzanzugs, der sie jetzt nicht mehr beschützen oder ihr etwas mitteilen konnte – flimmerten zaghaft auf ihren Fingern. Doch die Erinnerung an den Verrat brachte sie dazu, die Fetzen auseinanderzuzerren und das Zerstörungswerk zu vollenden, bis kein Teilchen mehr an ihr haftete und sie völlig nackt war.
    Alle hier waren nackt.
    Sie konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, bis jemand oder etwas sie hochhob und ihr die Augen auswischte. Angesichts der überwältigenden Szenerie aus Düsternis, Schatten und Staub blinzelte sie.
    Mit steifen Gliedern fand sie sich unter einem großen Mauervorsprung wieder, der sich, soweit sie es beurteilen konnte, am Rande eines Hügels befand. Die Ausmaße dieses Mauervorsprungs schienen zu schwanken: Mal sah es so aus, als wachse er in die Höhe, dann so, als senkte er sich nach unten.
Nicht nur die Farben und das Licht ringsum waren schwer einzuschätzen, sondern auch die Entfernungen und Dimensionen. Doch etwas, das jetzt auftauchte und sich ihr näherte – etwas oder jemand –, würde das, was sie sah, vielleicht in die richtige Perspektive rücken, und dann würde sie die Größenverhältnisse besser beurteilen können.
    »Hallo, du Sprössling des Hortes.«
    Tropfen einer kalten, schmerzlindernden Flüssigkeit sickerten ihr in die Augen und ließen sie gleich darauf so erstarren, dass sie ohne zu blinzeln auf ein Dreieck aus ungeformter weißlicher Substanz blickte.
    Eine kühle, glasklare Stimme, die wunderschön und zugleich traurig klang, ertönte von allen Seiten, legte sich über ihre Gehörgänge und drang Wort für Wort in sie ein, so bedächtig, als wolle die Stimme sie streicheln. Doch die Worte lösten in ihren Ohren Spannung und einen dumpfen Schmerz aus.
    »Ich war es, die Gestalter und Instandsetzer dazu verpflichtet hat, euch zu schaffen. Weißt du, wer ich bin?«
    Der Umriss in dem dreieckigen Wolkengebilde fügte sich zusammen: Oberhalb der Mitte tauchte ein Gesicht auf, ein wohlgeformtes Gesicht mit großen, tiefgründigen Augen, das schön, traurig und zugleich gebieterisch wirkte. Was jetzt aus Tiadbas tiefstem Inneren aufstieg, war das Gefühl des Wiedererkennens . Das Bild dieses Gesichts war schon in ihr abgespeichert gewesen, als sie zur Welt gekommen war, denn bereits vor Ewigkeiten hatte man es allen Geschöpfen ihrer Art eingepflanzt. Plötzlich wünschte sie sich, Freude empfinden zu können – schließlich war das hier ein Wiedersehen, also Anlass genug. »Ja, ich weiß, wer du bist«, erwiderte sie.
    »Und ich kenne dich und bin stolz auf dich, kleine Nachgezüchtete. Du bist mit Träumen gesegnet und hast die Zeit vorwärtsgebracht, genau wie es dir bestimmt war. Doch jetzt ist deine Verbindung mit dem, was vorher war, ein Fluch. Was auf uns zukommt, ist Aufruhr. Und Qual. Aber in diesem Augenblick, unserem letzten Moment des Friedens, darf ich allen, die hierhergebracht werden, eine Frage stellen. Das ist die Qual, die mir auferlegt ist: diese Sekunde der Vorfreude und der Hoffnung.«
    Tiadba versuchte, das blendend weiße Gesicht, das wie glatter beweglicher Stein wirkte, besser zu erkennen. Doch die plastischen Züge waren von anderen Teilen umgeben, die aufwirbelten und sich wieder mit eisigen Staubschwaden vereinigten.
    Als das Gesicht näher rückte, versuchte Tiadba sich zurückzuziehen – oder in sich zusammenzuschrumpfen.
    »Weißt du, was aus Sangmer, genannt der Pilger, geworden ist?«
    Obwohl die Stimme