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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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abzuwenden.
    Ginny würde zurückkehren. Und die Steine würden sich zusammentun.
    Sein ganzes Leben lang hatte er diese Chance vorausgesehen und sich darauf vorbereitet. Selbstverständlich hatte er Angst. Aber er empfand auch eine Art Freude. Es warteten reale und dringliche Aufgaben auf ihn: Er würde Verbindungen knüpfen, Gruppen zusammenstellen und die Kinder schützen müssen. Die mit besonderen Gaben gesegneten Kinder. Sicher würden sie sich wie eine neue Familie um ihn scharen und damit die alte ersetzen – die Menschen, die versagt hatten oder einfach verschwunden waren. Bald würden die Kinder wie Frühlingsblumen ihre Knospen entfalten – unglaublich! Viel besser als jeder Band mit verstümmelten Texten.
    Doch natürlich würden dann auch die Raubtiere auftauchen. Sie lagen bereits auf der Lauer.

VIERZEHN NULLEN

16
Die Ebenen
    Jebrassy empfand kaum Bedauern, als er die Brücke über den Hochwasserkanal überquerte, die zu den langen Straßen führte. Jetzt hatte er ungestört Zeit für sich selbst, Zeit zum Nachdenken, und das kam ihm so vor, als wäre er gerade einer erdrückend engen Nische entflohen.
    Hinter der Brücke, auf den brachliegenden Feldern, beugten sich zwei kleine Wächter mit eingeklappten Flügeln über irgendetwas am Boden, um es genauer zu untersuchen. Jebrassy kratzte sich am Kopf und wandte den Blick zur Seite. Ein blasser Nebelvorhang verhüllte das, was ihr Interesse geweckt hatte. In den Ebenen sah er solche Wächter mit kleinen, golden funkelnden Körpern nur selten. Und wenn, dann befassten sie sich ganz sicher nicht mit dem Nachwuchs.
    Dennoch war ihm klar, was sie untersuchten: die Spuren eines Überfalls. Er wollte sich abwenden, spähte jedoch unwillkürlich in den Nebelvorhang hinein und versuchte darin die wandelbaren Formen der unsichtbaren Beherrscher der Ebenen auszumachen: die Hochgewachsenen, die den Nimbus von Fantasiegestalten hatten. Jebrassy verspürte einen Anflug von
Scham. Er bedeutete ihnen nichts – weniger als einem Landarbeiter ein Pede, das er mit Paketen und Körben für den Markt belädt. Die Lehrer brachten ihnen nur bei, was die Hochgewachsenen wollten – nichts, was einer ihrer Zöglinge wirklich wissen musste. Wie er sie alle hasste!
    Auf dem Markt war eine alte Sama, die er schon einmal aufgesucht hatte, um seine Fragen endlich laut aussprechen zu können: Warum variiert die Zeit – der Schlaf- und Wachzyklus – in den Ebenen so stark? Was befindet sich jenseits der Ebenen, falls da überhaupt irgendetwas ist? Warum kehren Marschteilnehmer niemals zurück? Das waren Fragen, die die Lehrer schlicht mit Nichtbeachtung straften.
    Warum geistere ich im Schlaf umher?
    Im Unterschied zu Khren würde die Sama nichts herumtratschen.
     
    Es sei schon spät, sagte sie; sie werde nicht viel Zeit für ihn haben. Sie stellte sich nicht namentlich vor, das taten Samas nie. Oft huschten sie zwischen den Inseln und Stockwerken der Ebenen hin und her, doch niemand wusste, wo ihre Nischen lagen, sie waren unauffindbar. Niemand bezahlte sie; als Lohn für ihre Arbeit erhielten sie lediglich die Nahrungsmittel, die an Markttagen übrig blieben. In ihren Marktbuden sagten sie die Zukunft voraus, leiteten Ratsuchende zu Gebeten an und behandelten kleinere Verletzungen, denn um die größeren kümmerten sich die Pflegerinnen. Fast alle Samas waren schlecht gekleidet. Oft rochen sie auch schlecht und starrten vor Schmutz. Und diese alte Frau war keine Ausnahme.
    Sie zog die Vorhänge der engen Bude zu. Die Beratungen fanden stets in unbequemer Hockstellung und bei verschlossenen
Vorhängen statt, um die Sonne und neugierige Blicke auszusperren.
    Sie schob die mit Essensresten verkrustete Schale zur Seite, kauerte sich vor Jebrassy nieder und warf einen dünnen Leuchtstab in den Sand zwischen ihnen. Der Stab tauchte ihr braunes Gesicht in Licht und ließ ihre wissenden braunen Augen glänzen, so dass sie wie Glasscherben funkelten.
    Wie üblich waren ihre Fragen sehr direkt. »Warum haben deine Paten dich rausgeworfen? Weil du dich für einen Krieger hältst und dich mit Rabauken abgibst? Oder liegt es daran, dass du herumgeisterst?«
    Jebrassy beugte sich vor und stützte sich mit gespreizten Fingern auf dem Boden ab. Samas durften alles fragen, was sie wollten, sie hatten in dieser Hinsicht einen Freibrief. »Das sind nicht meine ursprünglichen Paten. Mer und Per wurden entführt.«
    »Entführt? Wie das?«
    »Von einem Alptraum.« Das war die übliche

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