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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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die Umber, als sie ihn aus dem Brutapparat zogen, ihn versehentlich auf den Kopf fallen lassen?
    Klapperstorch.
    Dieses unbekannte Wort, diese mühsame Erinnerung an einen Laut löste bei ihm heftiges Kopfschütteln aus.
    Die Umber haben dich gebracht – so ähnlich wie der Klapperstorch, stimmt’s? Haben dich auf die Welt gebracht und unter einem Kohlblatt abgelegt.
    »Halt den Mund.«
    Seine nackten Füße trugen ihn weiter den Pfad entlang.
    Du ähnelst einem Tier im Zoo. Aber du weißt ja nicht mal, was ein Zoo ist. Warum halten sie euch hier fest?
    Jebrassy hatte zwar nichts gegen seinen Besucher, schon gar nicht ließ er sich von ihm einschüchtern, doch diese Erinnerungsfetzen brachten ihm nichts, beantworteten keine seiner Fragen. Wenn Jebrassy herumgeisterte und der Besucher das Sagen hatte, passierte normalerweise nichts Besonderes, wie Khren ihm verraten hatte.
    »Ich weiß nicht, wer oder was du bist«, knurrte Jebrassy leise. »Aber ich wünschte, du würdest verschwinden !«
    Er blieb an der Brücke stehen, blickte auf den Bauernmarkt, der jetzt geschlossen war und ruhig dalag, und darüber hinweg auf die Straßen, die hier begannen und sich bis zu den fernen Grenzen der Felder und Mauern rings um die Ebenen erstreckten. Das war die Umgebung, in der sie sich bewegten: Bei forschem Schritt konnte man sie in einem halben Tag durchqueren. Darüber wölbte sich der künstliche Himmel mit seiner Fassadenwand und der anderen Innenwand, die für Luftfeuchtigkeit sorgte. Am äußersten, so gut wie unerreichbaren Ende liefen beide Wände in einem Scheitelpunkt zusammen. Auf dem Boden bildete dieser Scheitelpunkt die imaginäre Mitte einer Rundmauer, die das ganze, von tiefer liegenden Hochwasserkanälen durchschnittene Gebiet umschloss.
    Manchmal bezeichneten die Lehrer die Rundmauer als äußere und die anderen beiden Wände als innere Schutzmauern. Zusammen bildeten sie die Grenzen dieser Welt. Und wiesen die Neugier in die Schranken.

17
    Die Wächter hatten Nebel und schwarze Schleier über den Schauplatz des Überfalls gebreitet, der sich im Schatten der Befeuchtungswand am äußeren Rand eines Hanffeldes befand. Jetzt standen sie nervös herum und warteten darauf, dass Ghentun den Schauplatz inspizierte.
    Hinter den Schleiern hatte sich ein unregelmäßiger Abschnitt des Hanffeldes, der mehr als tausend Quadratmeter umfasste, mit feinen Schneekristallen überzogen. Die Vegetation war hier abgestorben und nicht mehr nutzbar. Diese Zerstörung der Natur aus reiner Böswilligkeit trug den Stempel des Typhon. Mitten in den Kristallen lag ein Nachgezüchteter der alten Art so, als hätte irgendjemand ihn achtlos niedergestreckt. Den steif gefrorenen Fetzen der Arbeitskleidung nach zu urteilen, hatte es einen Feldarbeiter erwischt.
    Er war noch am Leben gewesen, als die Wächter ihn gefunden hatten.
    »Habt ihr ihn getötet?«, fragte Ghentun den leitenden Wächter.
    »Er hat gelitten, Hüter, deshalb haben wir einen Düsteren Aufseher herbeigerufen und sein Leben ausgelöscht. Niemand hat ihn seither berührt.«
    Der Düstere Aufseher – er war mager, hatte einen rötlichen Brustkorb und glänzende schwarze Schwingen – hatte inzwischen ebenfalls seinen Geist aufgegeben und lag deaktiviert neben dem Feldarbeiter. Seine erstarrten, vor Kälte gekrümmten Glieder waren mit weißen Kristallen überzogen. Man würde ihn entsorgen müssen, genau wie den Leichnam des Feldarbeiters, die Erde und alles andere, das vom Typhon berührt war.
    Ghentun blickte zu der schnurgeraden Straße hinüber, die von den nicht genutzten Innenbezirken – den Diurnen und der spitz zulaufenden Brücke – quer durch die Felder und Wiesen bis zu dem engen, gewundenen Flaschenhals führte, in dem der Hochwasserkanal Tenebros an der ersten Insel endete. Im Zwielicht waren noch einige Bewohner unterwegs, doch
alle machten einen großen Bogen um das nebelverhangene Hanffeld.
    In den fünfundsiebzig Jahren, die vergangen waren, seit Ghentun den Bibliothekar um eine Audienz gebeten hatte, hatte er schätzungsweise zweitausend Zöglinge verloren. Diese Überfälle auf die niedrigen Ebenen der Kalpa traten inzwischen ein-oder zweimal innerhalb von zwölf Schlaf-Wach-Zyklen auf. Offenbar zielten sie vor allem auf den Nachwuchs ab – auf diejenigen, die Dinge auf uralte Weise wahrnehmen und erkennen konnten. Bei den meisten Überfällen hatten die Wächter den Verlauf auf eigene Faust untersucht und ihre Schlüsse daraus gezogen, doch

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