Die Stadt am Ende der Zeit
Schnellstraße. Der Bettler.« Sein Gesicht nahm den Ausdruck von Verachtung an. »Erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie jetzt auch noch Privathäuser abklappern.«
»Ich brauche einen Menschen, der mir zuhört. Jemand, der vielleicht weiß, wovon ich rede. Sie können mir dabei helfen herauszufinden, ob es tatsächlich passieren wird, besser gesagt: wann es passieren wird.«
Mit Johnsons Geduld war es vorbei. Inzwischen war er nicht nur verärgert, sondern auch so beunruhigt, dass seine Wangen sich röteten. Er wollte jemanden im Haus schützen, an dem ihm viel lag, wie Daniel merkte.
»Die meisten Menschen erkennen die Anzeichen nicht«, fuhr Daniel fort. »Aber in dieser Weltlinie laufen die Dinge eindeutig aus dem Ruder.«
Johnson verzog das Gesicht. »Wenn Sie kein Geld wollen, ist diese Unterredung hiermit beendet. Ich habe nicht viel Zeit.«
»Das haben wir alle nicht, Fred.«
Johnson senkte die Stimme und blickte nach links, zur Küche hinüber. »Verschwinden Sie von meiner Veranda!«
Daniel versuchte Johnsons Reaktion einzuschätzen. Starke Worte, aber Johnson neigte nicht zur Gewalttätigkeit. Daniel wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, Schläge ins Gesicht zu bekommen oder von der Polizei eingebuchtet zu werden. Es
ging ihm keineswegs gut. Das Mindeste, was er jetzt brauchte, waren ein Krankenhaus und ein guter Arzt. Doch am meisten …
… brauchte er Fred.
Neugierig tauchte eine Frau hinter Johnson auf – jünger als er, vermutlich Ende zwanzig, mit kurzem rotblondem Haar, hohen Wangenknochen, länglichem Kinn. Sie wirkte frisch und hübsch. »Wer ist da gekommen, Liebling?« Sie legte beide Hände auf Freds Schultern und musterte Daniel.
Daniel blinzelte Tränen weg und versuchte verzweifelt, den Blick zu fokussieren. »Mary«, sagte er. »Mein Gott, du hast ihn also geheiratet . Das verändert alles. Ist ja toll!«
Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich sofort. »Woher kennen Sie uns?«, fragte sie mit harter Stimme. »Schließ die Tür, Fred.«
»Mary, ich bin’s, Daniel.« Seine Knie gaben nach, so dass er sich an den Türpfosten lehnen musste.
»Mein Gott«, sagte sie. »Ihm geht es schlecht.«
»Holen Sie mir bitte ein Glas Wasser«, bat Daniel, während er langsam nach unten sackte, sich jedoch festzuhalten versuchte. »Und lassen Sie mich ein wenig ausruhen. Ich weiß ja, es klingt verrückt, und vielleicht bin ich wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf, aber ich kenne Sie beide.«
»Aber ich bin verdammt sicher, dass ich Sie nicht kenne«, erwiderte Mary, ging jedoch Wasser holen, während Johnson Daniel stützte.
»Warum haben Sie sich ausgerechnet unsere Veranda ausgesucht, Kumpel?«, fragte Fred. »Sie sehen gar nicht gut aus, und Sie riechen schauderhaft. Wir sollten einfach einen Krankenwagen rufen – oder die Polizei.«
»Nein«, sagte Daniel nachdrücklich. »Ich bin den ganzen Tag herumgelaufen und werde auch gleich wieder gehen – nachdem wir miteinander geredet haben. Bitte!« Er griff in die große Jackentasche, holte das Buch von Bandle heraus und blätterte darin herum. »Sehen Sie sich das an. Kryptiden. Lazariden. So viele. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern.«
Mary kehrte mit einem Glas Wasser zurück, das Daniel hinunterstürzte. An ihrer rechten Hand, die sie zur Faust geballt hatte, konnte er keinen Ring erkennen. »Ich mach hier schon keinen Schlamassel, Mary. Ich freue mich so sehr, euch zu sehen … Seid ihr beiden verheiratet? Lebt ihr zusammen?«
»Das geht Sie nichts an. Wer, zum Teufel, sind Sie überhaupt? «
»Ich bin dein Bruder. Ich bin Daniel.«
Marys Gesicht rötete sich, ihre Brauen zogen sich zusammen, und ihre Augen verloren jeden Ausdruck. Jetzt wirkte sie gar nicht mehr hübsch. »Raus hier!«, forderte sie ihn auf. »Verschwinden Sie von unserer Veranda, verdammt noch mal!«
»Sie gehen jetzt besser, Kumpel«, sagte Fred. »Wie die Dame verlangt hat.«
»Etwas muss passiert sein.« Daniel sah von einem zum anderen, während sein Blick sich trübte. »Was war es? Was ist mir zugestoßen?«
»Falls Sie damit meinen Bruder meinen: Der ist mit neunzehn Jahren gestorben«, erwiderte Mary. »Und um diesen Dreckskerl war es auch nicht schade. Ich rufe jetzt die Polizei.«
27
Mr. Whitlow hatte sich im Laufe von immerhin hundert Jahren beträchtlich verändert. Zu dem jungen, verzweifelten Max Glaucous war er früher auf seine ernsthafte Art durchaus freundlich und nett gewesen. In jenen wie mit bräunlicher Patina
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