Die Stadt der gefallenen Engel
Leben verschwinden. Für Rachel bliebe immer noch ein ganzes Leben, denn Satan hatte versprochen, ihr die Erinnerung an den Verlust des Kindes zu nehmen, bevor er wieder in die Hölle hinabstieg.
Aber alles war anders gekommen. Rachel hatte einem Mädchen das Leben geschenkt. In seiner Enttäuschung darüber, dass es kein Sohn war, hatte Satan sein Versprechen gebrochen und war gegangen, ohne Rachel die Erinnerung zu nehmen.
Martha und er hatten ihre Rolle weitergespielt. Normalität vorgegaukelt. Sie hatten auf ihre Tochter eingeredet. Fragen gestellt, die andere Eltern in dieser Situation ebenfalls gestellt hätten. Ist etwas zwischen euch vorgefallen? Habt ihr euch gestritten? Aber alles war aus dem Ruder gelaufen. Rachel war außer sich gewesen. Fragen, die Anteilnahme zeigen sollten, wurden als Vorwürfe verstanden, jedes gut gemeinte Wort ins Negative gekehrt. Rachel hatte getobt und geschrien, nachdem der Mann, den sie liebte, gegangen war. Und dann war auch sie gegangen. Hatte das Kind in eine Babytragetasche gelegt und das Haus verlassen. Sie war niemals zurückgekommen.
Alle Versuche, Kontakt aufzunehmen, wurden abgeblockt. Seit nun mehr fast achtzehn Jahren herrschte Schweigen zwischen ihnen und so hatten sie ihr Enkelkind in all den Jahren nur ein einziges Mal gesehen. Bis zu diesem Herbst.
Davor war Damian in ihr Leben getreten. Max hatte ihn bereits bei der schwarzen Messe vor siebzehn Jahren kennengelernt und zu spüren geglaubt, dass er anders als die Dämonen oder Satan war. Ein dunkler Engel, dem das Schicksal der Menschen nicht völlig gleichgültig zu sein schien.
Kurz nachdem Martha von ihrer schweren Krebserkrankung erfahren hatte, stand er plötzlich vor ihrer Tür. Und wieder einmal schien alles zusammenzubrechen. Seine Frau war sterbenskrank und Satan verlangte, seine Tochter zu sehen. Max solle dafür sorgen, dass sie nach Berlin komme.
Warum Satan so plötzlich Interesse an seiner Tochter zeigte, hatte Damian nicht gesagt, aber er hatte deutlich gemacht, dass der Höllenfürst keine Gnade gegenüber denjenigen zeigen würde, die seine Befehle nicht befolgten.
Das eigene Schicksal war Max längst gleichgültig geworden und wahrscheinlich würde sich auch Martha mit Freuden für ihr Enkelkind opfern, aber er wusste, Satan würde sich in seinem Zorn nicht auf sie beide beschränken, sondern auch Rachel und womöglich Lara mit Qualen oder dem Tod bestrafen. Und das durfte nicht passieren.
All die Schuld, die er auf sich geladen hatte, schrie danach, gesühnt zu werden, und so wurde Damian ihre letzte Hoffnung. Wenn es ihm gelang, Damian zu beeinflussen, gab es Hoffnung; er wollte, dass Rachel und Lara weiterleben konnten.
Und erneut hatte er ein gefährliches Spiel gespielt, sich scheinbar auf alle Forderungen eingelassen. Dennoch hatte er immer wieder versucht, auf Damian einzuwirken. Irgendwie hing alles mit Laras kommendem achtzehntem Geburtstag zusammen. Er wusste zwar nicht, welche Bedeutung dieses Datum hatte, aber er spürte, wenn es ihm gelang, Lara bis dahin vor ihrem Vater zu schützen, würde sich alles ändern. Laras Geburtstag war der Wendepunkt in ihrem Leben. Zum Guten oder zum Schlechten. Er hatte sich geschworen, dass es zum Guten werden würde.
Und endlich einmal hatten sie Glück gehabt, denn Damian schien Lara nichts Böses zu wollen. Im Gegenteil, irgendetwas war mit dem dunklen Engel geschehen – Damian schien aufrichtige Gefühle für Lara zu empfinden. Letztendlich war das nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er Zeit gewann. Jeder Tag, der verging, brachte Lara ihrem achtzehnten Geburtstag näher. Dann konnte sich das Schicksal für alle noch einmal wenden.
Und so hatten er und Martha gehofft. Wirklich gehofft. Aber nun war ein zweiter dunkler Engel aufgetaucht und er ließ keinen Zweifel daran, dass er Satans Befehle unverzüglich ausführen würde. Und dieser Befehl konnte inzwischen nur lauten: Bringt mir das Kind!
Irgendetwas Geheimnisvolles musste in der Hölle vor sich gehen, denn sonst wäre Satan längst selbst erschienen, um sein Recht zu fordern.
Bisher war es darum gegangen, Zeit zu gewinnen. Mit Asiszaars Auftauchen waren die Karten neu gemischt worden, denn nun hieß es, Laras Leben mit aller Macht zu schützen. Er war zwar nur ein Mensch, der einem Diener der Hölle gegenübertrat, aber er würde tun, was getan werden musste.
Ihm blieben nur noch zwei Möglichkeiten. Eine davon war, dass er Asiszaar zu Damians Versteck führte und dass Damian
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