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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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zulassen.
    Lara hob den Kopf und ließ ihren Blick die Straße entlangschweifen. Ihre Augen blieben an einem Schild hängen, das den Zugang zu einer U-Bahn-Haltestelle anzeigte. Sie starrte auf den hell erleuchteten Schriftzug.
    Ein bitteres Lächeln umspielte Laras Lippen, als sie einen Schritt nach vorn machte und aus dem mäßigen Schutz des Daches heraustrat. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, fühlte sich an wie feine Nadelstiche auf der Haut. Die Taubheit wich aus ihrem Körper und Lara spürte neue Kraft in sich aufsteigen. Kraft, eine letzte eigene Entscheidung zu treffen. Sie hatte es so satt, andere über ihr Leben bestimmen zu lassen.
    Nicht weit von hier gab es die Möglichkeit zu vergessen.
    Sie konnte ihre Liebe für Damian auslöschen, die sich so schmerzvoll in ihr Herz gebrannt und ihre Seele verschlungen hatte.
    Vergessen, wer oder was sie war. Kein Mensch mehr. Ein Kind der Hölle.
    Einfach vergessen.
    Alles, was so wehtat.
    Für immer.
     
    Als die Engel das Haus verließen, blieb Gabriel abrupt stehen. Er schloss die Augen und verharrte regungslos. Als er die Lider wieder öffnete, sah er Damian eindringlich an.
    »Ich weiß, wo Lara sich aufhält«, erklärte er.
    Damian wollte etwas fragen, aber Gabriel hob abwehrend die Hand. Offensichtlich lauschte er noch immer der inneren Stimme.
    »Sie rennt durch die Straßen. Mitten im Regen.«
    »Was? Wohin?«
    »Ich weiß es nicht. Nemathan folgt ihr.«
    »Ist sie weit von hier entfernt?«
    »Nein.«
    »Gut, dann haben wir eine Chance.«
    Gabriel sah ihn ernst an. »Wir müssen uns beeilen. Nemathan sagt, irgendetwas stimme nicht mit ihr. Er kann fühlen, dass sie voller Verzweiflung ist.«
    »Wo ist sie?«
    Gabriel sagte es ihm.
    Und Damian rannte los.

65.
    Blitze zuckten vom Himmel. Donner hallte durch die Häuserschluchten. Der Regen fiel unablässig, und obwohl die Scheibenwischer auf Hochtouren liefen, war die Sicht schlecht und sie mussten langsam fahren.
    Max saß auf dem Rücksitz des Autos, neben dem ständig vor sich hin kichernden Robert Fischer, der immer wieder seine Gestalt wechselte und leise dämonische Gebete vor sich hin brabbelte. Im Fahrzeug stank es durchdringend nach Alkohol. Sowohl der Fahrer als auch eine fast volle Flasche hochprozentigen Alkohols, die auf der Fußmatte vor ihm hin- und herrollte, verströmten einen Geruch, der den Professor schwindeln ließ.
    Der dunkle Engel auf dem Beifahrersitz hatte seit geraumer Zeit kein Wort mehr gesprochen. Schweigend verfolgte er, wie Max den Fahrer durch die Stadt lotste. Bei dem Wetter waren nur wenige Autos unterwegs. Fußgänger sah man überhaupt nicht, aber das verwunderte auch nicht, denn sie hatten jetzt eine Gegend erreicht, die ausschließlich aus tristen grauen Plattenhäusern bestand. Geschäfte gab es hier kaum, nur das dämmrige Licht einiger Imbissbuden spiegelte sich in den Pfützen auf dem Asphalt. Der Regen floss in Bächen neben den Gehwegen und gurgelte in die Kanalisation, die zu überfluten drohte.
    Dies war das schlimmste Unwetter, das die Stadt seit Jahren gesehen hatte. Fast schien es, als hätten sich die Schleusen des Himmels geöffnet, um sie aufzuhalten, und dafür war Max dankbar. Er ahnte, dass sein Leben bald enden würde. Spätestens wenn der dunkle Engel das Haus erreichte und feststellte, dass er belogen worden war. Aber das war nicht wichtig. Wichtig war allein Laras Sicherheit. Stumm fluchte Max vor sich hin, als er an seine Enkeltochter dachte.
    Er hatte so vieles falsch gemacht im Leben, hatte geglaubt, er könne Wünsche einfordern, ohne den Preis dafür zu bezahlen. Doch Satan ließ sich nicht betrügen. Nein, nicht er. Er hatte geglaubt, die Dinge im Griff zu haben, aber Satan hatte ihn eines Besseren belehrt.
    Dabei war ihnen damals alles so einfach erschienen – und sie waren so verzweifelt gewesen.
    Als er Martha kennengelernt hatte, war ihm das Leben wie ein Traum vorgekommen. Sie war seine große Liebe und er war glücklich wie noch nie zuvor. Um ihr Glück zu perfektionieren, fehlte nur noch ein Kind. Martha wünschte es sich ebenso von ganzem Herzen wie er selbst. Sie hatten gehofft, gebetet, Hilfe bei Ärzten und Heilern gesucht, aber Martha war nicht schwanger geworden. Mit jedem Jahr sank die Hoffnung auf ein eigenes Kind und er musste mit ansehen, wie die Frau, die er über alles liebte, von ihrem Leid zerfressen wurde.
    Martha verließ schließlich kaum noch das Haus. Sie zog in das Zimmer, das sie in Vorfreude auf ein Kind

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