Die Stadt der gefallenen Engel
an ihm. Eine Finsternis, die tief in seinem Inneren darauf zu lauern schien, ans Tageslicht zu kommen. Etwas, das mit seiner Vergangenheit zu tun hatte. Er verbarg etwas vor ihr, ließ sie nicht in seine Seele blicken. Aber vielleicht war es dafür auch einfach noch zu früh.
Sei nicht so ungeduldig, schalt sie sich. Gib ihm die Zeit, sich zu öffnen.
Aber tief in sich drin spürte Lara, dass es zu spät war. Sie war bereit, sich zu verlieben.
Bereit, sich in ihm zu verlieren.
12.
Die Stille der Nacht hatte den Park umfangen. Nur ein alter Mann, abgerissen wie ein Obdachloser, gekleidet in einen verschmutzten, ehemals weißen Mantel, schlurfte von der Last des Lebens gebeugt über den Kies des Parkweges. Seine Füße steckten in alten Bundeswehrstiefeln, die von Klebeband zusammengehalten wurden. Mit der knorrigen rechten Hand umklammerte er einen geschnitzten Stock, der ihm bis an die Hüfte reichte. In der anderen Hand hielt er eine zerfetzte Plastiktüte, die seinen gesamten Besitz beinhaltete. Er brabbelte leise vor sich hin, während er nach einem Schlafplatz für die Nacht suchte.
Plötzlich trat ein Schemen aus den Schatten der Nacht. Ein Wesen von ungeheuerlichem Aussehen. Es überragte den Alten bei Weitem. Der Körper war von zottigem Fell bedeckt. Muskulöse Arme endeten in messerscharfen Klauen, während es sich auf säulenartigen Beinen näherte.
Halb Mensch, halb Raubtier mit fingerlangen Reißzähnen im aufgerissenen Maul, war es ein lebendig gewordener Albtraum. Kurz vor dem Alten blieb das Monster stehen. Das hässliche Gesicht beugte sich herab und sog tief die Luft ein. Es schnupperte. Dann verengten sich die geschlitzten Pupillen und ein Schnauben erklang.
»Engel. Komm und kämpfe mit mir«, zischte das Monster.
Der alte Mann hob den Blick und lächelte ein zahnloses Lächeln. »Du missachtest die Gebote«, antwortete er ruhig.
»Sie gelten nicht mehr. Nicht für mich.«
»Dein Herr wird über deinen Ungehorsam erzürnt sein.«
»Ich diene keinem Herrn mehr.«
Der Obdachlose schwieg überrascht. Vor ihm stand ein Dämon, der nicht länger bereit war, ein Sklave zu sein. Irgendetwas war mit dieser Kreatur geschehen und es war wichtig, dass Gabriel davon erfuhr.
»Kämpfe oder stirb schweigend!«, forderte ihn das Wesen erneut auf.
»So sei es«, krächzte der Alte mit rauer Stimme.
Der Dämon trat zurück. Gebeugt, die Klauen weit ausgestreckt, beobachtete er die Verwandlung.
Der Rücken des Alten richtete sich auf. Die Haut spannte sich. Falten verschwanden ebenso wie bläuliche Adern. Da, wo vorher nur zerzauste Haarbüschel gewachsen waren, fielen jetzt goldene Locken auf breite Schultern.
Der zerschlissene Mantel wurde zu einem einfachen Leinengewand, der hölzerne Stock zu einem Schwert aus Licht und Feuer.
Als die Verwandlung vollendet war, stand ein Engel, ein strahlender Krieger Gottes, vor dem Dämon. Ein junger Mann von unsterblicher Schönheit, der lächelte – aber in seinem Lächeln lag keine Freude.
Die Kreatur griff, ohne zu zögern, an. Sie warf ihren massigen Körper nach vorn, die Klauen fuhren zischend durch die Luft, aber sie trafen ihr Ziel nicht. Der Engel drehte sich in einer einzigen geschmeidigen Bewegung zur Seite und der Hieb ging ins Leere.
Der Dämon brüllte zornig auf, wandte sich um und schlug mit beiden Pranken nach seinem Gegner, der blitzschnell unter den Schlägen abtauchte. Eine Faust streifte seine Schulter und glühender Schmerz jagte durch den Körper des Engels. Der Krieger wich zurück, der Dämon setzte nach, aber plötzlich sprang der Engel in die Luft und sein Schwert stieß herab. Zischend fuhr es in den monströsen Leib.
Das Wesen hielt abrupt inne, ein Ächzen erklang, dann verging der Dämon in einer glühenden Wolke aus Feuer. Nicht einmal Asche erinnerte an sein Dasein in dieser Welt. Stille kehrte ein.
Das Schwert in der Faust des Engels wurde wieder zu einem Stock. Der athletische Körper verwandelte sich in das ausgemergelte Etwas zurück, das es zuvor gewesen war.
Der alte Mann wollte gerade weitergehen, als ein brennender Schmerz durch seinen Rücken fuhr. Erstaunt blickte er an sich herab und sah die fingerlangen Krallen, die seine Brust durchbohrt hatten. Blut, das sich in gleißendes Licht verwandelte, drang daraus hervor und den ausgetrockneten Lippen entwich ein Stöhnen.
»Es gibt noch mehr von uns«, flüsterte eine heisere Stimme in das Ohr des Alten. »Und man sollte immer darauf achten, was sich hinter
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