Die Stadt der gefallenen Engel
einfach nur ein bisschen Spaß haben und Berlin kennenlernen. In Rottenbach gibt es leider keine so coolen Kneipen wie hier.« Sie warf ihrer Großmutter einen trotzigen Blick zu. »Damian wird schon aufpassen, dass ich nicht verloren gehe«, fügte sie schließlich beruhigend hinzu.
»Du magst ihn«, stellte Martha fest.
»Ja, sehr. Und du? Was denkst du über ihn?«
Ihre Großmutter ließ sich mit der Antwort Zeit. Schließlich sagte sie: »Er ist ein interessanter junger Mann und er sieht sehr gut aus.«
Lara entging der nachdenkliche Blick nicht, der diese Antwort begleitete.
»Damian wirkt oft so ernst.« Lara wusste zunächst nicht, wie sie ihren Eindruck von ihm beschreiben sollte. »Ernster, als es in diesem Alter üblich ist.« In Gedanken wiederholte sie die Worte, die er beim Anblick des Schmetterlings gesagt hatte – als er von Leben und Tod sprach.
»Ein außergewöhnlicher junger Mann«, stellte ihre Großmutter fest.
»Die Jungs in meinem Alter interessieren sich nur für Handys, Autos, coole Klamotten und dafür, was ihre Freunde von ihnen halten. Bei ihm ist das anders. Er ist so klug und macht sich über so viele Dinge Gedanken.«
Lara merkte, wie sie ins Schwärmen geriet, und auf das Gesicht ihrer Großmutter stahl sich ein leichtes Grinsen. Aber dann wurde Lara ernst. »Neben ihm komme ich mir manchmal richtig dumm und ungebildet vor. Ich komme mir so jung vor.«
Und ich will nicht zu jung für ihn sein, fügte sie in Gedanken hinzu.
Martha griff über den Tisch. Sanft umschlossen ihre Finger die Hand ihrer Enkelin. »Bei mir und deinem Großvater war es so ähnlich. Glaub mir, ich weiß, wie du dich fühlst.«
Lara blickte erstaunt auf. Ihre Großmutter wirkte stets stark und unbesiegbar und es schien, als sei sie diejenige, die in dieser Ehe das Sagen hatte.
»Ich begegnete deinem Großvater neunzehnhundertdreiundfünfzig an der Universität. Ich studierte Kunst und Philosophie. Es war ein heißer Sommer und ich saß mit hochgeschobenem Rock am Rand eines Brunnens und ließ die Füße im kühlen Wasser baumeln, als er mit einem Stapel Bücher unter dem Arm aus der Bibliothek kam. Er sah unglaublich gut aus. Schon damals trug er seine Haare länger als üblich, aber noch nicht so lang wie heute. Er sah wild und verwegen aus und im ersten Moment konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass er ein Student wie wir anderen war. Er wirkte so reif, so erwachsen, als er mit selbstbewussten Schritten über den Campus auf mich zukam.«
»Und dann? Was geschah dann? Hat er dich angesprochen oder du ihn?«
Martha lächelte und in ihrem Gesicht entstanden unzählige kleine Falten, die ein Muster um ihre Mundwinkel bildeten.
»Er stellte sich vor mich hin, blickte mich ernst an und fragte, ob ich wisse, dass die biologische Abteilung der Universität zu Versuchszwecken südamerikanische Pfeilschwänze, hochgiftige kleine Fisch, in dem Brunnen ausgesetzt habe.« Ihre Großmutter kicherte. »Ich erschrak furchtbar und sprang so heftig auf, dass ich mit ihm zusammenstieß und seine Bücher ins Wasser fielen.«
Martha machte eine künstliche Pause und verdrehte die Augen, dann sprach sie weiter. »Ich entschuldigte mich natürlich sofort, aber er lachte nur, zog die Schuhe aus, stieg ins Becken und holte die Bücher heraus. Als ich ihn auf die giftigen Fische ansprach, grinste er wie ein Schuljunge, der seiner Lehrerin einen Streich gespielt hat. Da wusste ich, es war alles gelogen und er hatte nur nach einer originellen Möglichkeit gesucht, mich anzusprechen, ohne gleich abzublitzen.« Martha lächelte verschmitzt. »Du musst wissen, Lara, damals war ich eine Schönheit.«
»Das bist du heute noch, Oma.« Und es stimmte, ihre Großmutter war eine wunderschöne Frau. Ebenso wie ihre Mutter strahlte sie Eleganz und Sinnlichkeit aus, die auch über die Jahre nicht verloren gegangen war.
Wenn ich doch auch nur ein wenig wie sie wäre, dachte Lara und hoffte, dass sie dieses gewisse »Etwas« geerbt hatte.
»Wie ging es mit euch weiter?«
»Oh, wir haben uns für den Abend in einem Café verabredet und auf dem Heimweg hat er mich dann geküsst.«
»Oma!«, rief Lara gespielt entsetzt aus.
»Es war nur ein einziger Kuss, aber danach war es um mich geschehen. Drei Monate später haben wir geheiratet. Gegen den Willen meiner und seiner Eltern, die meinten, so eine Verbindung käme zu früh und wir sollten erst einmal unser Studium beenden. Aber die Zeit hat uns recht gegeben, denn wir sind immer
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