Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
Vom Netzwerk:
noch zusammen und seit vielen Jahren glücklich verheiratet.«
    »Ach Oma, das klingt ja wie aus einem Hollywood-Streifen!«, meinte Lara theatralisch seufzend. »Ich wünschte, bei mir wäre es auch mal so romantisch«, fügte sie dann nach einer kurzen Pause mit ernsterer Stimme hinzu.
    Martha schüttelte leicht den Kopf. »Du musst wissen, dass ich am Anfang unserer Beziehung ähnlich empfunden habe wie du. Auch ich habe mich ungebildet und dumm gefühlt. Ich fühlte mich ungenügend. Max war ein brillanter Student, der für seine Studien eine Auszeichnung nach der anderen gewann. Ich hingegen war nur Mittelmaß und mein Abschluss dürftig. Oft kamen uns seine Mitstudenten oder Professoren besuchen. Dann saßen sie bis lange nach Mitternacht in unserer Einzimmerwohnung und diskutierten über Politik, Geschichte, Psychologie, Sozialismus und Kapitalismus und was weiß ich noch alles. Ich saß dabei und schwieg, denn zum einen verstand ich noch nicht einmal die Hälfte von dem, worüber sie sprachen, und zum anderen fürchtete ich, dass alles, was ich sagen würde, furchtbar dumm klingen könnte. Und weißt du, was?«
    »Was?«
    »Wenn dann alle weg waren und wir im Bett lagen, fragte er mich nach meiner Meinung zu den Themen, über die sie gesprochen hatten. Er wollte wissen, was ich dazu zu sagen hatte, und immer hörte er mir schweigend zu, ohne mich zu unterbrechen, und stets gab er mir das Gefühl, dass das, was ich zu sagen hatte, wichtig sei. Dafür habe ich ihn geliebt.«
    »Und dann?«
    »Habe ich heimlich Bücher zu allen Themen gelesen, die deinen Großvater interessierten. Es vergingen Monate, aber schließlich raffte ich all meinen Mut zusammen und beteiligte mich an den Diskussionen. Du hättest sein Gesicht sehen sollen. Es glühte vor Stolz, als ich einem seiner ärgsten Widersacher bei diesem Gespräch meine Argumente um die Ohren schlug, bis er schwieg und mir durch ein Nicken zu verstehen gab, dass meine These überzeugend war.«
    Martha hob eine Hand. »Heute bin ich eine gebildete Frau, zumindest halte ich mich dafür, aber all das konnte ich nur durch deinen Großvater werden. Hätte er mir damals das Gefühl gegeben, dumm zu sein, ich hätte ihm geglaubt und niemals das Selbstvertrauen aufgebracht, mich zu ändern.«
    Lara schwieg einen Moment. Die Geschichte ihrer Großeltern wies merkwürdige Parallelen zu ihr und Damian auf. »Was genau hat Opa eigentlich unterrichtet?«, nahm sie das Gespräch nach einer Weile wieder auf. »Ich frage, weil Damian auf dieselbe Uni geht, an der Opa seinen Lehrstuhl hatte.«
    »Geschichte.«
    »Mama sagte etwas von Okkultismus.«
    »Ja, das auch. Max hatte bis zur Geburt deiner Mutter den einzigen Lehrstuhl in ganz Europa inne, aber dann konzentrierte er sich ausschließlich auf Geschichte. Aus deinem Großvater hätte ein bedeutender Historiker werden können, aber er unterrichtete lieber Studenten, als Bücher zu schreiben, von denen er meinte, sie würden sowieso von niemandem gelesen.«
    »Ich kann mit dem Begriff Okkultismus nicht viel anfangen. Ich weiß zwar so in etwa, was er bedeutet, aber ich habe mich noch nie genauer mit dem Thema beschäftigt«, gab Lara zu und hatte für einen kurzen Augenblick das Gefühl, als würde ihre Großmutter zusammenzucken.
    »Okkultismus ist so etwas wie ein Überbegriff für alle Geheimwissenschaften und übersinnlichen, naturwissenschaftlich nicht erklärbaren Phänomene«, erwiderte Martha knapp. »Aber wenn du mehr wissen willst, musst du deinen Großvater fragen.«
    Lara wurde den Eindruck nicht los, dass dieses Thema ihrer Großmutter nicht behagte. »In Ordnung«, meinte sie deshalb nur.
    Martha sah zur Wanduhr und stöhnte. »Ach herrje, wie die Zeit vergeht. Dein Opa hat übermorgen Geburtstag und ich muss noch einkaufen gehen und alles vorbereiten. Wir haben Gäste und es gibt noch so viel zu tun.«
    »Ich kann dir helfen.«
    Ihre Großmutter erhob sich und strich ihr über die Wange. »Das ist lieb von dir. Morgen vielleicht. Ja, morgen könnte ich deine Hilfe gut gebrauchen, aber jetzt muss ich mich erst einmal sortieren.«
    »Soll ich dich beim Einkaufen begleiten? Ich könnte die Tüten tragen.«
    »Nein, ist nicht nötig. So viel brauche ich nun auch wieder nicht. Das Essen und die Getränke werden von einem Partyservice geliefert. Ich muss mich nur um die Dekoration kümmern. Ich habe mir etwas ganz Besonderes ausgedacht, denn schließlich wird man nicht jeden Tag fünfundachtzig Jahre

Weitere Kostenlose Bücher