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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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alt.«
    Fünfundachtzig, dachte Lara. Wie hatte ihr Großvater es nur geschafft, noch immer so fit auszusehen?
    Martha ging in den Flur hinaus und streifte einen Wollmantel über. »Ich muss jetzt los, Lara«, rief sie. »Wenn du später Hunger hast, im Kühlschrank steht noch Suppe von gestern, die kannst du dir warm machen.«
    Kurz darauf knallte die Haustür ins Schloss und Lara fragte sich, wie sie die lange Zeit bis zum Abend totschlagen sollte. Es kam ihr so vor, als würden die Minuten heute besonders langsam verstreichen. Sie hatte zwar keine Lust, sich wieder in eine überfüllte U-Bahn zu quetschen, aber sie war schließlich nicht nach Berlin gekommen, um allein in einem alten Haus zu sitzen und dem Ticken der Küchenuhr zu lauschen.

15.
    Das Haus war zum Abriss freigegeben. Es sah aus, als warte es nur darauf, wieder zu Stein und Staub zu werden. Die Fenster waren längst verschwunden, sodass es aus leeren Höhlen in den trüben Tag hinausglotzte.
    Die einzige Tür, die an der Vorderseite noch vorhanden war, hing schief in den Angeln, und wenn der Wind durch den Eingang fuhr, erklang ein schauriges Geräusch, das an die Schmerzen eines gequälten Tieres erinnerte. Das Dach war zwar ebenso verrottet wie der Rest, aber es lagen noch alle Ziegel darauf.
    Die Ruinen des ehemaligen Industriegebiets wirkten wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Während sich nun an anderen Stellen am Stadtrand hochmoderne Fabrikanlagen und luxuriöse Bürohäuser aneinanderreihten, verirrte sich in diese Gegend außer ein paar Graffiti-Sprayern oder dem ein oder anderen Straßenkind kaum jemand. Auf dem Gelände rund um das Haus hatte sich Unrat angesammelt. Vom Wind herangetragenes Laub und Papier türmte sich an den Wänden des Hauses oder hatte sich im verrosteten Maschendraht des Zaunes verfangen. Zwei verbeulte Plastikeimer lagen neben einem Fahrradgestell ohne Räder, das irgendjemand über den Zaun geworfen hatte.
    Wind kam auf, verdrängte den beißenden Geruch nach kalter Asche und ließ die vertrockneten Grasbüschel rascheln, die hier einen halben Meter hoch wuchsen.
    Dieser Ort wurde von den Bewohnern der nahe gelegenen Hochhäuser gemieden. Etwas lag in der Luft, das die Menschen veranlasste, einen Bogen um das Areal zu machen oder die Straßenseite zu wechseln, wenn sie hier entlangkamen.
    In dem Haus selbst herrschte Stille, aber es war nicht die Stille, die durch die Abwesenheit von Geräuschen entsteht. Es war eine Stille, wie sie vor einem Sturm herrschen mag oder die, wie man sagt, im Auge eines Tornados zu hören ist. Es war eine Stille voller stummer Wut und geflüstertem Verrat. Die Stille vor dem Tod.
    Spärliches Licht fiel durch eine winzige Dachluke. Damian saß mit gekreuzten Beinen auf dem verschmutzten Fußboden und malte mit dem Finger Zeichen in den Staub. Es waren Zeichen, wie sie kein Mensch zuvor gesehen hatte. Geschrieben in der Sprache des Bösen.
    Im Hintergrund warteten seine Diener darauf, dass er sein Schweigen brach, aber er beachtete die Kreaturen nicht, obwohl er ihre zornigen Blicke in seinem Rücken fühlen konnte.
    Schließlich erhob er sich geräuschlos und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Ohne sich umzublicken, winkte er einen der Jäger heran.
    »Wie kann ich dienen, Herr?«, katzbuckelte der Dämon, als er zwei Meter vor ihm stehen blieb und sich tief verbeugte. Zottige Haare fielen dabei vor sein Gesicht und verhüllten so ein Antlitz, das an eine ausgetrocknete Mumie erinnerte.
    »Hatte ich euch nicht befohlen, diesen Ort nicht zu verlassen?«, fragte Damian leise.
    »Ja, das hattet Ihr«, gab das Wesen zu, bemüht, keinen Zorn auf sich zu richten.
    »Und dennoch seid ihr dem Mädchen gefolgt.«
    »Nicht ich, Herr. Nicht ich.«
    Damians Blick fiel in die dunklen Ecken des Raumes, dorthin, wo sich die anderen verbargen. Wartend. Lauernd.
    »Grum’aak, tritt vor, damit ich dich sehen kann.«
    Gelbe Pupillen blitzten in der Dunkelheit auf, dann schob sich das mächtige Reptil in den Raum hinein.
    »Du warst am See«, sagte Damian beiläufig.
    Das Wesen ragte nun vor ihm auf und er musste nach oben blicken. Nüstern blähten sich geräuschvoll, als das Wesen die Luft einsog.
    »Satan hat uns Befehle gegeben. Ich bin sein gehorsamer Diener.«
    »Bist du das?« Damians Arm schoss nach vorn und legte sich auf die Brust des Dämons. Der mächtige Körper erstarrte, erschauerte und dann durchlief ihn ein Zittern, das immer stärker wurde. Das Wesen wollte sein Maul

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