Die Stadt der gefallenen Engel
über dem Eingang, vor dem sich unzählige Jugendliche drängten und darauf warteten, hineingelassen zu werden.
Niemand sah normal aus. Alle trugen Kostüme oder Klamotten im Gothic-Style. Nahezu jeder war übertrieben geschminkt. Lara sah Mädchen in ihrem Alter mit farbigen Kontaktlinsen, die ihre Augen geschlitzt wirken ließen. Irgendwie hatten sie dadurch etwas Raubtierartiges an sich. Lara war froh, dass sie am Nachmittag noch Klamotten gekauft hatte – doch selbst in ihrem neuen Outfit kam sie sich noch brav und bieder vor. Wenigstens trugen ihre dunklen Haare dazu bei, dass sie nicht aus der Menge herausstach.
Viele zeigten trotz der abendlichen Kühle jede Menge Haut – oft von unzähligen Piercings durchstochen oder mit Tattoos übersät. Die meisten waren auffällig geschminkt, hatten dunkel umrandete Augen und bleiche Gesichter, manche hatten sich sogar Bisswunden aufgemalt. Es war wie beim Setting zu einem Horrorfilm oder einem skurrilen Kostümfest.
Lara rammte Damian den Ellbogen in die Seite. »Du hättest mir sagen können, was mich erwartet. Dann hätte ich mich entsprechend vorbereitet.«
Er grinste sie breit an. »Dann wäre mir aber die Überraschung nicht gelungen. Außerdem siehst du klasse aus! Ich werde dich heute Abend wohl nicht aus den Augen lassen dürfen.«
Lara spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Ich gefalle ihm, dachte sie glücklich. Lächelnd griff sie nach seiner Hand und drückte sie. Er hielt sie fest und zog sie mit sich durch die Menge, die ihnen bereitwillig Platz machte.
Lara konnte es kaum glauben: Jeder hier schien Damian zu kennen, von allen Seiten wurde ihm freundlich zugenickt oder gewunken. Dafür, dass er angeblich kaum Freunde besaß, wie er behauptete, war er ganz schön beliebt. Ein junges Mädchen in ihrem Alter wandte sich um, als Damian sich an ihr vorbeidrücken wollte. Grell geschminkte Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Das Mädchen zog den Bauch ein, damit ihre Brüste in der schwarzen Lederkorsage noch praller, noch aufregender wirkten.
»Hallo«, sagte sie mit rauchiger Stimme.
»Hi«, meinte Damian nur, beachtete sie aber nicht weiter, sondern drängte vorwärts. Lara war ihm dankbar dafür, denn sie hatte keine Lust, wie eine dumme Gans danebenzustehen, während die Tussi versuchte, ihn anzumachen.
Vor dem Eingang stand ein Glaskasten, in dem ein menschliches Skelett hockte. Lara starrte es verblüfft an und sie wollte Damian fragen, ob es wirklich echt war, aber er zog sie bereits weiter. Über eine Wendeltreppe ging es ins Untergeschoss. In der Wand waren Urnengräber eingelassen. Die Namen auf den quadratischen Grabplatten klangen rumänisch und italienisch, die Daten verrieten, dass die hier angeblich beerdigten Menschen aus dem Mittelalter stammten. Lara spürte ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem Bauch, als sie an Damians Hand durch diese verrückte Kneipe ging.
In der Bar war es voll und stickig. Laute Musik dröhnte ihnen in den Ohren, als sie sich einen Weg durch die Menge bahnten. Die Bar war kleiner, als Lara angenommen hatte. Links ging es zu zwei Tischen und den Toiletten, rechts zog sich der Hauptraum neben einer langen Theke bis zu einer kleinen Tanzfläche und einer Treppe, die auf die Empore führte. Damian ergatterte einen freien Platz an der Theke. Über der Theke hing ein gewaltiger Kronleuchter und eine Wand war durch ein Gemälde verziert, das eine Frau zeigte, die auf einem geflügelten Dämon oder dem Teufel ritt. Ein anderes Bild zeigte eine nackte Frau, die sich mit dem Tod wollüstig vergnügte. Überall hingen künstliche Spinnweben herab. Brennende Kerzen verstärkten den düsteren Eindruck noch.
Lara lehnte sich gegen den Tresen und blickte fasziniert auf die weiblichen Bedienungen, die ihre Gesichter hinter glänzenden Masken verbargen. Die Zapfanlage war mit großen Totenschädeln verziert. Weitere Schädel hingen an den Wänden, die teilweise aus Backstein waren, aber auch grobe Mauerblöcke imitierten. Aber am beeindruckendsten waren die Menschen.
Lara spürte, wie ihr Adrenalinspiegel stieg. Sie fühlte das pulsierende Leben in diesen Mauern, fühlte die vibrierende Energie, die nahezu greifbar war. Fast alle hier drin waren in ihrem Alter, aber neben den Mädchen wirkte sie tatsächlich wie ein Landei. Lack und Leder, wohin das Auge auch fiel. Und nackte Haut. Viel nackte Haut. Pure Erotik lag in der Luft. Es roch nach wildem Leben und Sinnlichkeit. Lara beobachtete zwei Mädchen, die sich
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