Die Stadt der gefallenen Engel
erschrocken zugleich, wie sich das Gesicht des Mädchens veränderte. Wie es gleich geschmolzenem Wachs die Form verlor, bevor sich etwas anderes, etwas Neues herausbildete. Das Mädchen war nun kein Mädchen mehr, sondern glich einer dämonischen Fratze mit gebleckten Lippen, die spitze Zähne entblößten. Lederartige Haut überzog das Gesicht. Gelbe geschlitzte Pupillen starrten sie an, während zwischen den Lippen eine gespaltene Zunge erschien, die witternd vorschnellte.
Lara stieß einen Schrei aus und zuckte zurück. Dabei stieß sie mit einem jungen Mann zusammen, der das Bier in seiner Hand verschüttete und sich bekleckerte.
»Verdammte Scheiße«, brüllte er sie an. Aber Lara achtete nicht auf ihn, sondern wandte sich um, taumelte benommen los und zwängte sich schweißgebadet durch die hereinströmenden Menschen hinauf zum Ausgang.
Draußen blieb sie stehen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die kühle Wand und schloss die Augen. Die kalte Luft war angenehm, Lara atmete ein paarmal tief durch und wurde ruhiger.
Jemand berührte sie am Arm. Dann erklang eine vertraute Stimme.
»Was ist? Geht es dir nicht gut?«
Sie schlug die Augen auf und blickte in Damians besorgtes Gesicht.
»Mir ist plötzlich schlecht geworden«, log sie.
»Und jetzt?«
»Geht schon wieder.«
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
Seine Sorge war rührend, aber Lara schüttelte den Kopf. »Nein, lass uns einfach woanders hingehen, wo es nicht so voll ist.«
»Kein Problem«, lächelte er und zog sie mit sich.
Nicht weit von der Bar entfernt, in einer ruhigen Seitenstraße, fanden sie ein kleines Bistro, dessen Glastür einladend offen stand.
Lara und Damian betraten den Raum und Lara fühlte sich auf Anhieb wohl. Goldenes Licht aus altmodischen Kristalllüstern durchströmte den Raum, spiegelte sich auf dem hellen Marmorboden und funkelte wie kleine Kometen in den Glasscheiben. Es roch nach Kaffee, Kuchen und gebackenem Brot. Darunter schwang ein Duft von Vanille und Anis mit. Die Einrichtung bestand aus Baststühlen und Hockern und kleinen runden Tischen mit marmorierter Steinplatte.
Ein Kellner mit breitem Lächeln auf dem Gesicht und einem mächtigen Schurrbart forderte sie mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Er trug ein weißes Hemd, dazu eine rote Fliege und seltsamerweise breite Hosenträger. Über seinem runden Bauch spannte sich eine schwarze Schürze und gab ihm das klischeehafte Aussehen eines Südfranzosen, der er wahrscheinlich gar nicht war, denn er sprach breitesten Berliner Dialekt, als er ihnen die Karte reichte und die Empfehlungen des Hauses aufzählte.
Lara und Damian bestellten jeweils einen Cappuccino und dazu ein stilles Mineralwasser. Der Kellner ging.
»Und?«
Lara faltete die Karte zusammen und blickte auf. Direkt in seine wintergrauen Augen, die sie liebevoll ansahen. Sie wusste, was er meinte.
»Mir geht es gut. Tut mir leid, dass wir nicht …«
Er winkte ab. »Ist doch egal. Da können wir auch ein anderes Mal hingehen. Hauptsache, du fühlst dich wieder wohl.«
Der Kellner kam und brachte ihre Bestellung. Der Kaffee war heiß und gut. Das Wasser kühl. Lara trank einen Schluck, um ihren trockenen Mund anzufeuchten, während sie heimlich Damian beobachtete, der nachdenklich auf den Tisch sah, als gäbe es dort etwas zu entdecken. Sie ließ ihre linke Hand auf die Tischplatte sinken, in der Hoffnung, dass er danach griff, aber er starrte nur weiterhin auf den Tisch.
Damian folgte dem Muster der Tischplatte mit seinem Blick, aber er nahm nichts um sich herum war. Er war verwirrt. Lara sah wie ein Engel im Schein des Lichtes aus und ihre Schönheit versetzte ihm einen Stich.
Was war das? Was war das für ein Gefühl in seinem Inneren? So warm. Und doch so unvertraut.
Was geschieht mit mir?
Wütend auf sich selbst, griff er nach dem Wasserglas und nahm einen tiefen Schluck. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Eine Aufgabe, von der alles abhing.
Und dennoch. Dieses Mädchen ist etwas Besonderes. Ich sehe es in ihren Augen, in ihrem Lächeln, in der schüchternen Art, wie sie mich heimlich beobachtet.
Der erste zaghafte Zweifel an dem, was er tun sollte, wurde in ihm wach, aber er drängte ihn mit aller Macht zurück.
Ich darf nicht zulassen, was sie in mir auslöst.
Ich kann nicht sein, was ich nicht sein darf.
Und doch war da diese kaum bezähmbare Sehnsucht, sie zu berühren. Für einen Moment gab er diesem Impuls nach,
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