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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Körper gejagt. Danach hatte sie nur noch halbherzig versucht, ihren Vater davon zu überzeugen, dass sie auch ohne Hilfe zurechtkam.
    Michael war tatsächlich der brillante Student, als den ihn ihr Vater dargestellt hatte. Er kannte die Antwort auf scheinbar jede ihrer Fragen und er besaß die Geduld, ihr Zusammenhänge so lange zu erklären, bis sie alles verstanden hatte. Dabei beschränkte sich sein Wissen keineswegs nur auf Geschichte. Er schien einfach alles zu wissen, ob es nun um Mathematik, Physik oder sonst ein Lehrfach ging.
    Bald kam Michael täglich. Er ging praktisch im Haus ihrer Eltern ein und aus und Rachel ertappte sich dabei, wie sie ungeduldig auf die Uhr sah und die Minuten zählte, bis er endlich in der Hofeinfahrt auftauchte und mit seinen weit ausholenden Schritten den Weg zum Haus zurücklegte.
    Irgendwann war es dann geschehen. Eine unabsichtliche Berührung ihrer Hand durch seine, ein tiefer Blick in ihre Augen und dann seine Lippen auf den ihren. Niemals würde sie den ersten Kuss vergessen, einen Kuss, der ihre Seele fliegen ließ.
    Drei Monate später war sie schwanger geworden und sie hatten geheiratet. Ohne großes Fest. Standesamtlich. Lediglich ihre Eltern waren dabei gewesen. Von seiner Familie war niemand gekommen. Er sagte, er habe keine lebenden Verwandten und sie glaubte ihm. Wollte ihm glauben, denn ihr Glück war vollkommen gewesen. Bis zu jenem Tag.
    Und nun gab es wieder einen jungen Mann, der Geschichte an der Universität ihres Vaters studierte – und dieses Mal war ihre Tochter dabei, ihr Herz zu verlieren.
    Konnte das Zufall sein?
    Oder war es Schicksal?
    Wiederholte sich die Geschichte, indem die Tochter denselben Fehler wie die Mutter beging?
    Rachel fand keine Antworten auf all diese Fragen, aber da war dieses beunruhigende Gefühl in ihr – das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

21.
    Lara schlief.
    In ihrem Traum stand sie neben Damian auf einer Höhe und blickte über weites, ödes Land. Er hielt ihre Hand fest umklammert. Sein Griff schmerzte, aber sie schwieg und starrte auf ein steinernes Meer, dessen Kargheit nur durch feurige Ströme unterbrochen wurde, die das Gebiet wie glühende Lava durchzogen. Ein heißer Wind strich über ihr Gesicht. Das Atmen fiel ihr schwer, denn die stickige Luft presste ihren Brustkorb zusammen.
    Damian machte eine weit ausholende Bewegung, die alles umfasste. »Sieh, meine Fürstin«, sagte er mit Ehrfurcht in der Stimme. »Sieh dein Königreich.«
    Er wandte ihr das Gesicht zu und Lara erschrak. Es war nicht mehr Damian, der sie anblickte. Etwas Dunkles, Formloses wie schwarzer Nebel hatte sein Gesicht ersetzt und darin glühten seine Augen wie feurige Kohlestücke.
    Sie versuchte, sich seinem Griff zu entziehen, aber er hielt sie unerbittlich fest. Die schwarzen Schwaden verwandelten sich und wurden zu etwas, das Damian war, aber ihn älter aussehen ließ. Ein grausamer Zug umspielte die faltigen Lippen, als er sich vorbeugte.
    »Und sieh deine Sklaven.«
    Ihre Augen weiteten sich entsetzt, als sie die nicht enden wollenden Ströme der schauerlichen Wesen entdeckte, die vom fernen Horizont her auf sie zuhielten. Ausgeburten der Fantasie, wie sie kein Mensch zuvor erblickt hatte, drängten und schoben sich unerbittlich vorwärts. Klagelaute, Jammern und furchtbare Schreie drangen auf den Hügel.
    »Sag mir, meine Fürstin, wer soll leben, wer soll sterben?«
     
    »Lara, bitte mach die Tür auf.«
    Das Klopfen und der durchdringende Ruf drangen in Laras Traum. Verwirrt öffnete sie die Augen und blickte zur Zimmerdecke hinauf. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass sie eingeschlafen sein musste. Sie hatte geträumt, aber was sie geträumt hatte, wusste sie nicht mehr.
    »Lara!«
    »Oma? Was ist denn?«, murmelte sie. Sie war müde, so unendlich müde.
    »Warum hast du dich eingeschlossen? Und warum hörst du mich nicht?«
    »Entschuldige, ich muss eingeschlafen sein«, antwortete sie träge.
    »Dann öffne jetzt die Tür.«
    »Nein.«
    Eine kurze Pause entstand.
    »Nein? Was heißt da Nein?«
    »Ich möchte allein sein.«
    »Ist etwas passiert? Geht es dir gut?«
    »Ja, Oma. Ich möchte einfach nur allein sein.«
    »Damian hat angerufen. Er kommt in einer halben Stunde vorbei, um dich abzuholen.«
    Laras Blick wanderte zum Digitalwecker. Sie hatte über vier Stunden lang geschlafen. Aber das war jetzt auch egal. Sie fühlte sich so erschöpft und ausgebrannt, dass noch nicht einmal der Gedanke an Damian ihr Energie

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