Die Stadt der gefallenen Engel
aufreizend aneinanderrieben und sich gegenseitig den Hals ableckten, so als wären sie Lesben, aber sie war sich sicher, dass alles nur Show war. Hier ging es ums Auffallen. Um Sehen und Gesehenwerden.
Eine andere Frau trug eine lange weiße Lederhose, die ihre nackten Pobacken präsentierte, während sie aufreizend die Hüften kreisen ließ. Viele Leute standen paarweise herum. Manche küssten sich, aber jeder berührte auf die ein oder andere Weise seinen Partner, so als wolle man trotz aller Freizügigkeit seinen Besitzanspruch demonstrieren.
Lara zuckte zusammen, als Damian ihr ins Ohr raunte: »Und wie findest du es hier?«
»Cool – so was Abgefahrenes hat Rottenbach leider nicht zu bieten«, sagte sie lachend. »Bist du öfters hier?«
»Ab und zu. Auf alle Fälle wird es hier nie langweilig.«
Lara nickte. »Wenn das meine Freundinnen sehen könnten …!«
»Nächstes Mal bringst du sie einfach mit.«
Nächstes Mal. Lara lächelte still und genoss das angenehme Kribbeln in ihrem Bauch. Die Sache mit Damian fühlte sich gut an, auch wenn er noch Abstand hielt. Schüchtern, aber so als wäre es das Normalste der Welt, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte in sein Ohr: »Danke, dass du mich hierher gebracht hast.«
Er bewegte sich nicht und für einen Moment blieb sie so stehen, dann ließ Lara ihre Hand wieder sinken. Etwas enttäuscht. Sie hatte gehofft, er würde ihre Berührung erwidern, vielleicht sogar seine Hand um ihre Hüfte legen, aber danach sah es nicht aus. Etwas steif und unbeholfen stand sie vor ihm und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Ein Typ in Damians Alter kam vorbei. Er musterte Lara kurz, ohne zu lächeln, und begrüßte Damian mit einer Umarmung. Ein paar Worte wurden gemurmelt, dann verschwand der andere wieder in der Menge. Lara ließ ihren Blick durch die Bar schweifen. Obwohl der Laden schon bis zum Anschlag gefüllt war, drängten weitere Menschen herein.
»Ich habe Durst«, sagte sie zu Damian.
»Was möchtest du?«
Sie sagte es ihm. Damian bestellte ein Bier für sich und eine Cola für sie. Als die Getränke vor ihnen abgestellt wurden und Damian der Bedienung einen Geldschein reichte, zuckte Lara zusammen. Vor ihren Augen verwandelte sich die Hand der Kellnerin. Aus schlanken Fingern mit rotem Nagellack wurde eine Kralle mit messerscharfen Nägeln, die sich abrupt um das Geld schlossen. Lara sah auf und direkt in das harmlose Gesicht einer pummeligen jungen Frau, die ihre Maske hochschob und sie freundlich anlächelte.
»Heiß hier drin«, erklärte die Frau und wedelte sich mit einer normalen menschlichen Hand Luft zu.
Lara stand da wie versteinert, vollkommen unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Wie in Zeitlupe wandte sie ihren Blick von der Frau ab. Um sie herum waren die Leute auf alle möglichen Arten verkleidet, manche bis zur Unkenntlichkeit mit Tattoos, aufgemalten Tribals und gestylten Kontaktlinsen in Monstrositäten verwandelt. Künstliche Wunden klafften an Hälsen und Brüsten auf. Es gab Piercings ohne Ende, die sie schon beim puren Anblick zusammenzucken ließen – warum also hatte sie Halluzinationen bei einer Frau, die vollkommen normal aussah?
Ein Frösteln lief über ihren Rücken. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Als wieder ein Gefühl von Panik in ihr aufzusteigen drohte, zwang sie sich zur Ruhe und nippte an ihrer Cola. Damian schien ihr Unwohlsein nicht zu bemerken, denn er trommelte entspannt mit den Fingern auf der Theke.
Lara nahm einen weiteren Schluck Cola und hätte sich fast verschluckt, als sie ein intensives Prickeln auf ihrer Stirn spürte. Plötzlich war da dieses Gefühl, beobachtet zu werden. Sie ließ die Flasche sinken und sah sich um. Sofort fiel ihr Blick auf das blonde Mädchen, das Damian am Eingang so verführerisch angelächelt hatte. Diesmal hatte Lara allerdings das Gefühl, dass die Aufmerksamkeit ihr galt. Fast regungslos stand das Mädchen mit dem grellen Lippenstift in einer Ecke und starrte sie an. In einer Hand hielt sie eine Bierflasche, aber sie trank nicht daraus, sondern schwenkte sie nur langsam wie ein Pendel hin und her. Unter dem starren Blick des Mädchens fühlte sich Lara unwohl. Sie wollte sich abwenden, aber eine fast schon magische Kraft zwang sie dazu, das Mädchen weiter anzusehen.
Und je länger sie in diese Augen blickte, desto mehr schienen sie sich zu verändern. Eine neue Vision drängte sich ihrem Bewusstsein auf. Lara beobachtete fasziniert und
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