Die Stadt der gefallenen Engel
ihrem Gesicht zu weichen.
Aha, dachte Lara triumphierend, der die Reaktion nicht entging. Sie hatte also doch recht gehabt, ihrem Gefühl zu folgen und erneut nach dem Foto zu suchen.
»Was willst du damit und wo hast du es her?«
Der Tonfall war härter geworden, jede Fürsorge aus der Stimme ihrer Großmutter verschwunden.
»Ich wollte mir ein Buch ausleihen, da ist es herausgefallen«, entgegnete Lara ruhig. Seltsamerweise verspürte sie keinerlei Gewissensbisse oder Angst. »Vielleicht kannst du mir ja sagen, was es mit diesem Foto auf sich hat. Wer sind all diese Leute? Was haben sie auf der Taufe meiner Mutter zu suchen? Und wer sind die beiden Figuren im Hintergrund?« Laras Stimme hatte einen scharfen Unterton angenommen.
Martha fuhr sich verwirrt durch die kurzen Haare und brachte so, ohne es zu bemerken, ihre Frisur in Unordnung. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie nach einer Antwort suchte, dass sie nach Ausflüchten und Lügen rang.
»Was auf dem Foto zu sehen ist oder nicht, spielt keine Rolle, denn ich möchte jetzt nicht mit dir darüber reden.«
»Nur jetzt nicht? Oder nie?«, fragte Lara gefährlich leise. »Ich will endlich Antworten auf meine Fragen.«
»Nicht heute … ein anderes Mal vielleicht«, stotterte ihre Großmutter. Dann wurde ihre Stimme zu Eis. »Und nun gib mir das Foto!«
»Nein!« Ihre Großmutter im Blick behaltend, zog Lara ihre Hand zurück und verbarg das Bild hinter ihrem Rücken. »Nicht bevor ich Antworten auf meine Fragen bekommen habe.«
»Lara, ich werde es nicht noch einmal sagen. Dieses Foto gehört mir, gib es her!«
»Nein! Du kannst es in einer Stunde wiederhaben, aber solange behalte ich es.«
»Was hast du damit vor?«
Als Lara schwieg, machte ihre Großmutter einen entschlossenen Schritt auf sie zu. Lara war klar: Sie würde ihr das Bild notfalls auch gewaltsam wegnehmen.
»Wage es nicht, mich anzufassen«, zischte Lara.
Martha zögerte und Lara nutzte die Gelegenheit, sich rasch an ihr vorbeizudrängen und in den Flur zu rennen. Sie schnappte sich ihre Jacke vom Haken und verließ das Haus.
49.
Damian saß in der U-Bahn. Das Abteil war fast leer, lediglich am hinteren Ende saß eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, von denen eines, ein kleines Mädchen von vielleicht vier Jahren, in ihrem Arm eingeschlafen war, während ihr etwas älterer Bruder seinem eigenen Spiegelbild im Fenster Fratzen schnitt.
Als der Zug an der nächsten Station haltmachte, öffneten sich die automatischen Türen mit einem Zischen. Damian hörte in seinem Rücken, wie eine einzelne Person zustieg. Kurz darauf fuhr die Bahn mit einem Ruck wieder an.
Sie hatten die Haltestelle kaum verlassen, als ein Mann sich ihm gegenüber auf den Sitz fallen ließ. Er war mittelgroß, trug Jeans und eine dicke graue Sweatshirt-Jacke, deren Kapuze tief in die Stirn gezogen war. Die Hände steckten in den Jackentaschen, die Beine hatte er lässig ausgestreckt.
Damian versuchte, den Mann zu ignorieren, aber etwas an ihm beunruhigte ihn. Er hob den Kopf und sah den Mann direkt an. Eine Sekunde verging, dann schlug der andere die Kapuze zurück. Ein makelloses Gesicht erschien. Lange blonde Haare wurden sichtbar. Ein bitteres Lächeln zeichnete sich auf dem perfekten Mund ab.
»Ich bin Arias«, sagte er mit wohltönender Stimme, die er schließlich zu einem leisen Flüstern senkte. »Und ich bin gekommen, dich zu töten.«
Damian sah ihn eine Weile schweigend an, ehe er etwas sagte. »Ich erinnere mich an dich. Du bist ein Kämpfer Gabriels. In der großen Schlacht hast du gemeinsam mit ihm und Sanael gekämpft.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Aber das war vor dem Fall.« Er zögerte. »Warum willst du mich töten?«
»Du kennst die Antwort.«
»Ja«, gab Damian zu. »Wir sind Feinde. Heute und bis in alle Ewigkeit. Wir jagen und töten einander.«
»Du hattest die Wahl vor langer Zeit«, sagte Arias ruhig. »Du hast dich gegen das Licht und für die Dunkelheit entschieden.«
Damian lächelte freudlos. »Nein, ich habe mich für etwas anders entschieden – für Stolz und Eitelkeit. Für die Liebe zu jemandem, der es nicht wert war, geliebt zu werden. Nun bin ich verdammt. Aber sei gewarnt, Arias, auch du kannst fallen. Dein Vorhaben zeigt mir, dass du auf dem falschen Weg bist.«
»Ich stehe im Licht«, beharrte der Engel.
»Und tust dennoch gerade den ersten Schritt in die Dunkelheit.« Als Arias erneut widersprechen wollte, hob Damian die Hand. »Ich weiß, dass mein
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