Die Stadt der gefallenen Engel
wenigstens wusste der andere jetzt, dass er kein dummes Schaf war, das man so einfach zur Schlachtbank führen konnte. Andererseits, was konnte er tun?
Beim nächsten Halt aus dem Lkw springen und davonrennen? Vielleicht war es einen Versuch wert. Er könnte …
Als habe der Fremde seine Gedanken gelesen, schoss seine Hand vor und schloss sich wie ein Schraubstock um seinen Oberarm.
»Versuche nicht zu fliehen.«
Resigniert und verzweifelt ließ sich Harry gegen die Polsterung seines Sitzes sinken. »Warum ich?«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Du warst da. Ich musste in die Stadt. Du bringst mich dahin.«
»Und dann tötest du Arschloch mich.«
»Was ist ein Arschloch?«
Der Fahrer fasste nach der Blende über dem Kopf des Fremden und klappte sie herunter.
»Dort im Spiegel siehst du eines.«
»Ich sehe einen Mann. Einen Krieger.«
»Und ich ein Arschloch.«
»Ich werde dich nicht töten.«
Hoffnung stieg in Harry auf, verebbte aber keine Sekunde später wieder. Er hatte das Gesicht des Fremden gesehen und konnte bei der Polizei eine glasklare Täterbeschreibung abgeben. Auch wenn keine weitere Straftat mehr hinzukam, mit Entführung und schwerer Sachbeschädigung war nicht zu spaßen, das sollte für ein paar Jahre Knast reichen.
»Und das soll ich dir glauben? Ich kenne dein Gesicht. Hör auf, mich zu verarschen.«
»Deine Sprache gefällt mir nicht. Sie ist unwürdig«, sagte der Mann in Schwarz.
Harry grinste ihn an. »Leck mich doch!«
Es war reiner Selbstmord, den Mann zu provozieren, aber was hatte er schon noch zu verlieren? Nichts.
»Schweig oder ich zwinge dich, dir selbst die Zunge abzubeißen.«
Alles.
Der 3. Kreis der Hölle
Der Krieger, der vor ihm kniete, war über und über mit Ruß und Dämonenblut beschmiert. In dem Gesicht leuchtete das Weiß seiner Augen unwirklich hell.
Satan blickte hin und wieder von seinem Thron auf den Boten hinab, während er sich darauf konzentrierte, Nagellack gleichmäßig auf seine Zehennägel aufzutragen. Er hatte die Gestalt einer jungen Frau angenommen. Der schlanke Körper wurde von dem kuscheligen rosafarbenen Bademantel verborgen, der nur unzureichend geschlossen war, sodass eine Brust vorwitzig herauslugte und etwas tiefer der dunkle Schatten seiner Weiblichkeit zu sehen war. Das noch feuchte Haar steckte unter einer Frotteehaube. Satan hielt den kleinen Pinsel zwischen zwei Fingern und brachte vorsichtig Schicht um Schicht auf.
Schließlich war der letzte Zehennagel lackiert und er schnalzte zufrieden mit der Zunge. Er richtete sich im Thron auf und streckte die Beine aus. Spielerisch wippte er mit den Füßen.
»Sind sie nicht schön? Und was für eine herrliche Farbe. So rot. So rot wie das Blut eines Menschen. Ja, ich liebe diese kleinen Annehmlichkeiten des Lebens.« Er hielt sich eine Hand vor den Mund und gluckste vergnügt. »Was sage ich da? Leben.« Dann wurde er wieder ernst. »In meinem Fall ist das vielleicht nicht ganz zutreffend.«
Satan hob den Kopf und sah in die Runde. Hunderte von Kriegern, bis an die Zähne bewaffnet, in dunkle Rüstungen gekleidet, hatten im großen Saal Aufstellung genommen und warteten auf seine Befehle. Dies waren die tödlichsten Kämpfer, die es je gegeben hatte. Jeder von ihnen war so viel wie Dutzende Dämonen wert und sie hatten ihre Kampfeskraft mehr als nur einmal bewiesen. Doch Satan zögerte, sie einzusetzen. Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, die Situation auch ohne sie in den Griff zu bekommen.
Seine schlanke Hand mit den perfekt lackierten Nägeln wedelte in der Luft herum. »Irgendjemand, der sich zu meinem Aussehen äußern möchte? Nein? Dann nicht.«
Er verzog die Lippen zu einem Schmollmund. »Nun gut, dann reden wir eben über andere Dinge.«
Satan wandte sich dem Boten zu. »Was sagtest du noch mal? Ich war etwas abgelenkt, entschuldige bitte. Ich glaube, du sprachst von Opfern … von Gefallenen oder so etwas.«
»Ein weiterer Kreis der Hölle ist verloren«, sagte der Krieger, ohne dabei aufzusehen. »Die dort kämpfende Legion wurde bis auf den letzten Mann vernichtet. Die Dämonen überrennen das Land und drängen gegen das nächste Portal. Wir mussten uns in die Festung zurückziehen und halten noch stand, aber wenn keine Verstärkung eintrifft, sind wir verloren.«
Satan machte ein gequältes Gesicht. »Verstärkung, Verstärkung, Verstärkung … immer das Gleiche, wie langweilig. Dabei ist es doch so einfach.«
Mit einem Knall verwandelte sich Satan in ein
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