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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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dass dies nichts bringen würde. Der Mann war senil. Vielleicht wusste er etwas über ihre Vergangenheit, vielleicht auch nicht. Seine Aussagen würden sie nur zusätzlich verwirren, da sie nicht wissen konnte, welchen sie Glauben schenken konnte und welchen nicht.
    Nein. Konkrete Antworten steckten nur in dieser verblassten Schwarz-Weiß-Aufnahme. Tatsachen, an denen nicht zu rütteln war, mit denen sie ihre Großeltern konfrontieren konnte.
    Lara erhob sich. Sie würde das Atelier aufsuchen.
     
    Der Dämon starrte noch immer in die Richtung, in der Lara verschwunden war. Vor ihm stand der Kinderwagen mit der Attrappe darin. Seine Hände umklammerten den Griff, als gelte es, ihn zu zerbrechen. Die geschminkten Lippen zornig gefletscht, überlegte er, was nun zu tun sei.
    Das Mädchen war gerannt. Etwas musste geschehen sein. Beute rannte nur, wenn sie gejagt wurde, aber er sah keine Jäger.
    Verlassen lag die Straße vor ihm. Was sollte er jetzt tun? Dem Mädchen folgen oder Posten vor dem Haus beziehen?
    Damian war letzte Nacht nicht zurückgekehrt, was nicht ungewöhnlich, aber im Augenblick auch nicht hilfreich war.
    Und Grum’aak? Spurlos verschwunden. Entweder er verfolgte inzwischen eigene Ziele oder die Engel hatten ihn erwischt.
    Bei diesem Gedanken zog der Dämon die Schultern hoch und blickte sich ängstlich um. Nein, Engel waren nicht zu sehen.
    Was sollte er nur machen?
    Unschlüssig trat er von einem Bein aufs andere, dann zuckte ein Gedanke durch sein Hirn.
    Maa’al!
    Maa’al war ein hinterlistiger Feigling, aber ein kluger Kopf. Er würde wissen, wie sie sich nun verhalten sollten.
    Irgendwann würde der Anführer wieder auftauchen. Bis dahin galt es, keinen Fehler zu machen, den der dunkle Engel bestrafen konnte.
    Noch war er ein mächtiges Wesen.
    Noch.

50.
    Der Truckerfahrer zitterte wie Espenlaub. Seine Hände hielten das große Lenkrad so fest umklammert, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Schweiß lief ihm in Strömen über das vor Aufregung gerötete Gesicht. Sein Atem ging stoßweise.
    An einer roten Ampel musste der Lkw anhalten. Der Fahrer wagte es, den ungebetenen Fahrgast aus dem Augenwinkel zu betrachten. Ganz in Schwarz gekleidet, Hose, Stiefel, Hemd und Mantel, alles aus Leder, alles tiefschwarz. So wie die Haare des Mannes. Einzig die fast weißen Augen ragten aus dieser Monochromie heraus. Wenn der Fremde den Kopf wandte und ihn ansah, lag keinerlei Mitleid in diesen Augen, nur erbarmungslose Grausamkeit.
    Obwohl er schon weit über fünfzig war und durch seinen Beruf viel erlebt hatte, erschauerte der Fahrer beim Anblick des Gesichts. Narben bildeten auf der bleichen Haut ein Muster, das aussah, als habe sich ein Wahnsinniger mit einem stumpfen Taschenmesser daran zu schaffen gemacht. Wie konnte jemand derart verunstaltet in Berlin herumlaufen?
    Und dann diese übermenschliche Kraft, mit der er die Fahrertür herausgerissen hatte. Mal abgesehen davon, dass die Tür an massiven Scharnieren gehangen hatte, war sie auch mindestens hundert Kilo schwer. In der Faust des Fremden hatte sie hingegen wie ein Blatt Papier gewirkt.
    Das hier neben ihm war kein Mensch, konnte kein Mensch sein. Was bedeutete, dass er in großen Schwierigkeiten war.
    Harry Beilstein wusste, dass er sterben würde, sobald der Mann ihn nicht mehr brauchte, und das Ziel war nur noch wenige Kilometer entfernt. Mit einem Menschen hätte er reden und um sein Leben feilschen können – aber welche Worte konnten schon dieses Monster, das über unvorstellbare Kräfte verfügte, umstimmen? Keine!
    »Wie weit ist es noch?«, fragte der Fremde mit einer Stimme, die direkt aus der Hölle zu kommen schien.
    »Nicht … mehr weit«, krächzte Harry. »Hören Sie, ich habe Familie … Kinder …«
    »Ich will deine Familie nicht«, knurrte der andere und glotzte starr zur Fensterscheibe hinaus. Durch die fehlende Fahrzeugtür wehte der Fahrtwind herein und wirbelte die langen Haare um das hagere Gesicht.
    Trotz der kühlen Brise war Harry Beilstein in Schweiß gebadet. Seine Hose klebte am Hintern und das karierte Hemd hing wie ein nasser Lappen an seinem Leib. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
    »So war das nicht gemeint. Ich wollte sagen, dass meine Familie mich … braucht.« Seine Stimme vibrierte vor Nervosität.
    Das entstellte Gesicht wandte sich ihm zu. »Was willst du mir damit sagen?«
    »Ich weiß, Sie werden mich töten!«
    Es war heraus. Scheißegal,

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