Die Stadt der gefallenen Engel
stumm.
Bald kam ihr achtzehnter Geburtstag, dann galt sie offiziell als erwachsen. Es war an der Zeit, sich auch so zu benehmen.
So, und was ich mache ich jetzt mit meinen letzten Tagen in Berlin?, fragte sich Lara und verbot sich jeden weiteren Gedanken an Damian.
Sie beschloss, die Zeit zu nutzen, um mehr über ihren Vater in Erfahrung zu bringen. Und sie würde sofort damit beginnen. Lara wusste, dass sie gar nicht erst ihre Großeltern zu fragen brauchte. Diese hatten sich ihre eigene Version der Geschichte zurechtgelegt. Aber vielleicht konnte sie irgendwo im Haus wenigstens ein paar neue Hinweise finden, die ihr weiterhalfen.
Als sie vor sich hin grübelte, wo sie mit ihrer Suche beginnen sollte, kam ihr plötzlich das gestrige Gespräch mit dem Buchhändler in den Sinn. Der Alte hatte irgendetwas von einem Foto aus dem Jahr neunzehnhundertsiebenundsechzig erzählt, auf dem angeblich er und seine verstorbene Frau abgebildet sein sollten – gemeinsam mit ihrem Vater.
Das Foto aus der Bibliothek fiel Lara ein. Meinte er vielleicht diese Aufnahme? Nein, das konnte nicht sein. Der Alte musste etwas durcheinandergebracht haben, denn ihre Mutter war damals ja erst ein Jahr alt gewesen – und dementsprechend jung war ihr Vater zu dieser Zeit.
Lara versuchte, sich das Foto ins Gedächtnis zu rufen, und dabei fielen ihr die beiden Figuren ein, die abseits der anderen auf dem Foto zu sehen waren. Konnte es sich bei einem von ihnen um ein Kind handeln? Konnte es sein, dass tatsächlich ihr Vater auf diesem Foto zu sehen war?
Laras Herz begann, schneller zu schlagen. Wenn es so wäre, dann hätte ihre Mutter den unwiderlegbaren Beweis, dass ihre Eltern ihren späteren Verlobten schon lange zuvor gekannt hatten. Dass alles ein abgekartetes Spiel war.
Aber warum sollten ihre Großeltern so etwas tun? Welches Geheimnis verbargen sie? Was steckte hinter alldem?
Die Antwort war auf dem Foto zu finden, das spürte Lara deutlich.
Aufgeregt stürmte sie die Treppe hinunter.
Damian wanderte ruhelos durch die Stadt. Ohne die Menschen zu beachten, ging er den Ku’damm entlang. Ziellos, allein mit sich und seinen Gedanken.
Das Erwachen heute Morgen war schmerzhaft gewesen. Lara hatte noch immer in seinem Arm gelegen. Wie friedlich ihre Gesichtszüge gewirkt hatten. Wie glücklich. Er wusste, dass sie ihn über alles liebte. Und dennoch war er gegangen.
Ich musste es tun, sagte er sich immer wieder. Aber hatte er wirklich gehen müssen? Noch bevor sie erwacht war?
Ja.
Nein.
Damian war vollkommen verwirrt. Aber eines wusste er ganz genau: Wäre er geblieben, hätte Lara die Wahrheit in seinen Augen gelesen. Und die Wahrheit war, dass er sie nicht lieben konnte. Nicht lieben durfte. Um ihrer selbst willen. Der Schmerz über diese Erkenntnis hätte ihre Seele verbrannt. So wie alles andere, das er berührte.
Er war ein gefallener Engel, unfähig zu lieben und dennoch … nein, es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Seine Zeit in dieser Welt war begrenzt und bald musste er in die Hölle zurückkehren. Und wieder würde Laras Herz brechen, wenn erneut jemand, den sie liebte, sie verlassen würde. Zuerst ihr Vater, dann Ben und schließlich er.
Die Wahrheit? Konnte er ihr die Wahrheit sagen? Vielleicht würde sie ja verstehen …
Nein! ,entschied er. Wer konnte schon die Art von Wahrheit ertragen, die er anzubieten hatte? Lara würde zerbrechen. Sich selbst für alle Zeiten fremd werden.
Damian lauschte in sein Innerstes und entdeckte ein Gefühl, von dem er geglaubt hatte, es sei für immer verloren. Mitgefühl. Mitleid. Er litt mit ihr, konnte erahnen, wie sich Lara nun fühlen musste. Kurz versank er in ihrem Schmerz, dann schüttelte er energisch den Kopf.
Nun war nicht die Zeit für Mitleid. Er musste etwas tun.
Sofort.
Aber wo sollte er hin? Was konnte er unternehmen?
Damian blieb plötzlich stehen. Inmitten all der Menschen, die ärgerlich schimpfend an ihm vorbeidrängten. Und dann kannte er die Antwort.
Wenn ich sie schon nicht lieben kann, dann muss ich sie schützen. Vor mir und den anderen, die so sind wie ich.
Es war nur so unglaublich schwer, denn wenn er diesen Schritt tat, gab es kein Zurück mehr.
Aber wollte er überhaupt zurück?
Nein!
Die Entscheidung war gefallen.
47.
Als er das Portal durchschritt, brannte sein Körper, so als streiche Feuer darüber. Dann war es vorbei. Asiszaar erschien im Keller eines Mietshauses. Um ihn herum herrschte fahle Dunkelheit und seine Augen
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