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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Arsch auch noch philosophisch! Harry lagen jede Menge Beleidigungen auf den Lippen, aber er presste die Zähne zusammen, bis ihm der Kiefer wehtat. Jetzt bloß nichts mehr riskieren. Die Sache war auch so schon schlimm genug.
    »Du sagst nichts mehr«, hakte der Fremde nach.
    Die ganze Zeit hatte der Mistkerl geschwiegen und ausgerechnet jetzt war ihm nach Plaudern zumute? Scheiße!
    Harry bleckte seine Lippen zu einem verkrampften Lächeln. »Fällt mir schwer, an ein Leben nach dem Tod zu glauben«, sagte er freudlos.
    Der schwarze Mann blickte ihn überrascht an. Zum ersten Mal überhaupt zeigte sein Gesicht eine Reaktion. »Niemand sprach von einem weiteren Leben. Deine Seele wird mit mir in die Hölle kommen und dort für immer im Feuer brennen.«
    Harry sah ihn an und wusste, dass er die Wahrheit sprach. Wer oder was immer da neben ihm im Truck saß, war kein Mensch, aber er hoffte, dass Es trotzdem sterben konnte.
    Als Harry wieder nach vorn blickte, entdeckte er in einiger Entfernung einen massiven Brückenpfeiler, der seinen riesigen Schatten quer über die Fahrbahn warf. Harry grinste stumm in sich hinein.
    Perfekt!
    Noch zwei Kilometer.
    Seine rechte Hand schob sich Millimeter für Millimeter am Lenkrad entlang, bis sie auf gleicher Höhe mit dem Schalter der Warnblinkanlage am Armaturenbrett lag. Er musste die hinter ihm fahrenden Autos warnen.
    Jetzt brauchte er nur noch freie Fahrbahn, um zu beschleunigen.
    Ein Kilometer.
    Vor ihm zockelte ein alter Peugeot herum und hinterließ qualmende Abgase, die in die offene Kabine drangen.
    Verflucht!
    Noch fünfhundert Meter.
    Der Peugeot wurde immer langsamer.
    Harry zog an der Lichthupe und blinkte auf.
    Vierhundert Meter.
    Die alte Frau in dem Fahrzeug hatte ihn anscheinend im Rückspiegel entdeckt …
    Dreihundert Meter.
    … und riss abrupt das Lenkrad zur Seite. Die verrostete Karre machte einen Satz auf die rechte Fahrspur. Die Fahrzeuge dahinter bremsten quietschend ab. Jemand hämmerte auf seine Hupe.
    Zweihundert Meter.
    »Was tust du da?«, fragte der Fremde neben ihm.
    Harry beachtete ihn nicht und aktivierte das Warnblinklicht.
    Hundert Meter.
    Fünfzig Meter.
    Zwanzig Meter.
    Eine Hand fasste nach ihm.
    Zu spät.
    Harry hatte sich bereits aus dem Fahrzeug fallen lassen.
     
    Lara ging die schmale Gasse entlang. Sie hatte ein paar Leute nach der Adresse fragen müssen, weil sie die Straße doch nicht gleich auf Anhieb gefunden hatte, doch schließlich hatte ihr ein älterer Herr, der an einer Bushaltestelle gewartet hatte, weiterhelfen können. Das Foto noch immer fest in der Hand haltend, blieb sie nun vor einem alten, aber ordentlich renovierten Gebäude stehen.
    Das Erdgeschoss wurde von einer breiten Glasfront dominiert, darüber hing ein Firmenschild mit Logo und verriet, dass hier tatsächlich immer noch das Atelier Westermann untergebracht war. Unter dem Namen des Inhabers stand der Slogan »Fotografie aus Leidenschaft«.
    Lara zögerte nicht länger. Sie wollte gerade die Klinke der Eingangstür herunterdrücken, als sie von innen geöffnet wurde. Ein Mann Anfang dreißig mit kurz geschorenen blonden Haaren stand ihr gegenüber und warf ihr einen fragenden Blick zu.
    »Ja, bitte?«, fragte er.
    Der Mann war einen Kopf größer als Lara und schlank. Er trug schwarze Hosen und einen für die Jahreszeit zu dicken schwarzen Pulli. Über seinem rechten Arm hing ein Mantel. Anscheinend war er gerade im Begriff, seinen Laden zu verlassen.
    Lara sah ihn neugierig an. Wenn das Westermann war, dann war er eindeutig zu jung, um der Fotograf der Aufnahme zu sein, wegen der sie hier war. Lara zögerte kurz. »Sind Sie Herr Westermann? Der Besitzer des Ateliers?«
    »Ja, warum?«
    Sie hielt ihm das Foto hin. »Vielleicht bin ich ja falsch. Ich suche den Mann, der diese Aufnahme gemacht hat.«
    Westermann nahm ihr das Foto aus der Hand und betrachtete es eingehend. Dann drehte er es um und las den Stempel.
    »Das ist von uns«, sagte er. »Besser gesagt, von meinem Vater. Er hat das Foto gemacht.«
    Klar, es hatte auf der Hand gelegen. Doch Lara wollte nicht vorschnell aufgeben. »Könnte ich Ihren Vater sprechen? Es ist sehr wichtig. Ich möchte ihm gerne ein paar Fragen zu diesem Foto stellen.«
    »Mein Vater ist tot. Vor zwei Jahren gestorben.«
    »Oh«, entfuhr es Lara enttäuscht, die alle Hoffnung schwinden sah.
    »Was ist an dieser Fotografie so Besonderes?«, wollte Westermann wissen. Er wirkte nicht misstrauisch, einfach nur neugierig. Lara

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