Die Stadt der gefallenen Engel
Haus des Mädchens zu gelangen, hatte zu viel Aufmerksamkeit erregt. Verzögerungen wie der absichtliche Unfall des Fahrers waren in seinem Plan nicht vorgesehen. Schließlich hatte er beschlossen, die Sache vorsichtiger anzugehen. Satan hatte ihm einen Befehl erteilt und er wollte sich dieser Ehre würdig erweisen.
In seiner finsteren Seele träumte Asiszaar den Traum, eines Tages zu Satans Stellvertreter aufzusteigen und den Platz einzunehmen, den Damian innehatte. Aber noch war es nur ein hoffnungsvoller Wunsch. Er musste sich konzentrieren, denn Damian war ein gefährlicher Krieger, der seiner eigenen Kampfkunst in nichts nachstand, und niemand konnte wissen, wie viele Dämonen noch treu zu ihm standen.
Dämonen waren Sklaven. Dummes Vieh. Menschliche Seelen, hinabgezerrt in die Hölle und jeglicher Erinnerung an ihr früheres Leben beraubt, existierten sie nur, um zu dienen und zu leiden. Dass sich die Dämonen gegen die Macht der Hölle erhoben hatten, erstaunte ihn, aber gleichzeitig erfüllte es ihn mit Freude. Er und seine dunklen Brüder würden die Horden zerschmettern.
Asiszaar begriff nicht, warum ihn der Aufstand der Dämonen beunruhigen sollte. Die Legionen der Engel würden sich den Horden stellen und die Bedrohung für alle Zeit beenden. Dass so viele seiner Brüder bereits gefallen waren, berührte ihn nicht. Versager verdienten kein Mitleid.
Er würde nicht versagen. Er würde den Verräter töten und das Mädchen in die Hölle schleppen. Vor Satans Füße würde er sie werfen und den Dank seines Fürsten empfangen.
Er würde zukünftig an der Seite Satans sitzen, geliebt und gefürchtet von den anderen Kriegern, die vor seinem Thron das Knie beugten.
Asiszaar bleckte die Lippen zu einem Grinsen. Bald.
Er sah sich nach rechts und links um. Als er niemanden entdeckte, verwandelte er sich und nahm die Gestalt einer jungen Frau an. Auf hochhackigen Schuhen stöckelte er die Straße entlang. Er musste nicht lange suchen.
Vor einer Garage stieg ein ungefähr vierzig Jahre alter Mann aus seinem Auto aus. Er trug einen Anzug und einen Aktenkoffer unter dem Arm. Spärliches Haar, glatt zurückgekämmt, sollte den beginnenden Haarausfall kaschieren. Seine Augen waren gerötet. Er roch nach Alkohol.
»Hallo«, flötete Asiszaar.
Der Mann drehte sich überrascht um. Seine Augen wanderten ungeniert über den Körper der Frau. Schlaffe Wangen verzogen sich zu einem Lächeln, das die schmalen Lippen nicht erreichte. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mann heiser, seinen Blick schamlos auf das Dekolleté der Frau geheftet.
»Ja.« Asiszaar schlug die Augen nieder und sah hilflos durch lange Wimpern nach oben. »Wie komme ich am schnellsten in die Stadt?«
»Es fährt ein Bus. Nicht weit von hier.« Der Mann deutete mit der Hand in die entsprechende Richtung. Das Jackett klaffte auf. Dunkle Schweißflecke auf seinem Hemd wurden sichtbar. »Wo müssen Sie denn hin? Vielleicht könnte ich ja …«
Asiszaar trat auf den Mann zu. Dies war ein williges Opfer, schon jetzt ein Sklave im Geiste. Er legte dem Mann die Hand auf die Stirn. Die Augen wurden glasig.
»Ja, du kannst«, sagte Asiszaar lächelnd. »Du kannst mir dienen.«
Kurz darauf bestiegen beide den schwarzen Saab und fuhren in die Stadt hinein.
56.
Lara starrte noch immer fassungslos auf den Bildschirm. Ihr Kopf war leer. Kein Gedanke. Nichts. Unfähig zu verstehen, was da vor ihren Augen Gestalt annahm, heftete sie ihren Blick auf den nächsten Abschnitt, der sich gerade scharf stellte. Die Stelle mit den beiden Männern, die nur schemenhaft zu erkennen gewesen waren, setzte sich nach und nach zu einem deutlichen Bild zusammen.
Lara sah es und konnte es nicht glauben. Schon immer war ihr an den Figuren etwas vertraut vorgekommen, aber nun erlitt sie einen Schock.
Der linke Mann war ihr Vater. Eindeutig und unverwechselbar.
Ich verstehe es nicht, ächzte Lara stumm. Wie kann er als erwachsener Mensch mit meiner Mutter auf einem Bild zu sehen sein, während Mama selbst noch ein Kleinkind ist?
Sie waren fast gleich alt, als sie sich kennenlernten, aber dieser Mann auf dem Foto sah aus wie Anfang oder Mitte zwanzig. Wie konnte das sein?
Und was hatte der Ring an der Hand ihrer Mutter zu bedeuten? Plötzlich kamen ihr die Worte des alten Buchhändlers in den Sinn.
»Es müsste sogar irgendwo ein Foto von uns allen geben. Damals hat meine selige Mathilde noch gelebt. Es muss so siebenundsechzig gewesen sein … ein Jahr vor ihrem Tod
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