Die Stadt der Heiligen (German Edition)
hatte aufgehört.
Epilog
AACHEN, 19. AUGUST,
ANNO DOMINI 1412
M arysa? Wo steckst du denn, Kind?» Jolánda klopfte gegen die Stubentür.
Marysa, die gerade dabei war, ihre Schlafkammer in den großen Raum zu verlegen, der zum Büchel hinausging, eilte zur Treppe. «Hier oben, Mutter! Imela, bring diese Bettwäsche nach unten und gib sie der Wäscherin mit!»
Jolánda stieg die Treppe hinauf und sah sich staunend um. Grimold und Jaromir schleppten ein neues großes, in mehrere Einzelteile zerlegtes Bettgestell in die zukünftige Schlafkammer. Auf einer Truhe in der Ecke des Zimmers lag zusammengefaltet ein zartgelber Betthimmel.
Marysa winkte ihrer Mutter. «Komm und sieh dir das an!»
Sie gingen in die ehemalige Schlafkammer. Dort lag ein riesiger Haufen Kleider am Boden. «Eines hässlicher als das andere», konstatierte sie. «Ich werde sie allesamt dem Lumpensammler vom Leprosenhaus mitgeben.»
Jolánda nickte verständnisvoll. «Das bedeutet wohl einen größeren Auftrag für Einhard.»
Marysa nickte. «Ich habe Reinolds Sachen alle zu Frau Gerharda bringen lassen.»
«Und was wird nun aus seiner Werkstatt?»
«Das weiß ich noch nicht. Ich benötige nur das kleine Kontor und vielleicht den Lagerraum. Wahrscheinlich ist es das Beste, ich lasse die Knechte alles Werkzeug und die verbliebenen Schreine in Kisten verpacken und in der Remise einlagern.»
«Du könntest sie auch verkaufen», schlug Jolánda vor.
Doch Marysa schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, die Sachen vielleicht noch einmal zu brauchen.»
«Falls du dich wieder verheiratest?»
«Nein.» Marysa schüttelte entschieden den Kopf. «Das tue ich ganz gewiss nicht. Jedenfalls nicht in nächster Zeit.»
***
Christophorus führte sein schwerbepacktes Maultier durch das Kölntor aus der Stadt hinaus. Ein Wechselspiel von Sonne und Wolken zog über den Himmel und spiegelte seine Gemütsverfassung wider. Einerseits war er froh, wieder auf Wanderschaft gehen zu können. Er hatte es bisher noch nie länger an einem Ort ausgehalten – wenn er sich beeilte, würde er vielleicht noch vor Köln wieder auf Gizellas Gauklertruppe stoßen. Aber was sein Versprechen Aldo gegenüber anging, so hatte er das Gefühl, es nicht ganz erfüllt zu haben.
Sicher, er war ein großes Risiko eingegangen, als er Marysa in ihrer Notlage zu helfen versucht hatte. Und das, so schwor er sich, würde er niemals wieder tun. Denn wenn die Welt erfuhr, dass Bruder Christophorus in Wahrheit weder ein Ablasskrämer noch ein Inquisitor, ja nicht einmal ein richtiger Mönch war, sondern nur der Sohn eines einfachen Handwerkers mit einem erstaunlichen Talent für das Fälschen von Schriften und Siegeln und einer traurigen Vergangenheit, die er lieber vergessen wollte, würde es ihm ganz sicher schlecht ergehen. Doch irgendetwas ließ ihn zweifeln, dass Aldo sich die Erfüllung seines letzten Wunsches so vorgestellt hatte.
Als er schon ein gutes Stück gegangen war, blickte er noch einmal zurück auf Aachen und hatte dabei das untrügliche Gefühl, nicht zum letzten Mal hier gewesen zu sein.
Nun, vielleicht würde er tatsächlich irgendwann noch einmal herkommen. Aber nicht in nächster Zeit. Nein, ganz gewiss nicht in nächster Zeit.
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Historische Nachbemerkung
Im gesamten Mittelalter nahm Aachen als Stadt Karls des Großen eine herausragende Rolle unter den Städten der Christenheit ein. Der bedeutende und schließlich heiliggesprochene Kaiser prägte durch sein politisches und kulturelles Wirken die nachfolgenden Epochen bis in die heutige Zeit hinein. Insbesondere der von ihm geschaffene prächtige Dom mit den wertvollen Reliquien, die bis heute in seinem Inneren aufbewahrt werden, verlieh der Stadt einen besonderen Status.
Seit vielen Jahrhunderten pilgern die Menschen in Scharen nach Aachen, um einen Blick auf die Windeln und das Lendentuch Christi, das Kleid Mariens, welches diese angeblich in der Christnacht getragen haben soll, und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers zu werfen und im Angesicht der Reliquien für das eigene Seelenheil zu beten. Auch der vollkommene Sündenablass, der jeweils einmal an jedem Tag der Heiltumsweisung gewährt wurde, war sehr begehrt. Die Vermutung, dass dieser in Aachen an Bedingungen wie den Besuch der Messe, die Beichte und eine nicht zu kleine Spende für die Kirche gebunden war, liegt nahe, da diese auch bei anderen Gelegenheiten, zu denen ein vollkommener Ablass
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