Die Stadt der Heiligen (German Edition)
schlug die Hände vor die Augen. «Darüber habe ich wirklich noch niemals nachgedacht. Aber dann … dann war dein Vater ja …»
«… ein guter Geschäftsmann», ergänzte Marysa schnell und blickte ihrer Mutter eindringlich in die Augen. «Ich habe auch nicht gesagt, dass ich ihn je dabei beobachtet hätte, wie er Fälschungen verkauft hat.» Hier schwieg sie einen Augenblick, denn so ganz entsprachen ihre Worte nicht der Wahrheit. Sie seufzte innerlich. «Vater hat den Menschen Bildnisse und Andenken des Glaubens verkauft und ihnen damit sicherlich Hoffnung und Zuversicht gegeben. Das ist es doch, was wirklich zählt, nicht wahr? Und dir und mir hat er damit ein Leben in Wohlstand ermöglicht.»
Jolánda dachte über die Worte ihrer Tochter eine ganze Weile nach, dann nickte sie. «Wenn du es so siehst, kann ich dir nur recht geben. Dennoch … gefälschte Reliquien? Dein Vater war ein anständiger und rechtschaffener Mann!»
«Und mir wird niemals etwas anderes über die Lippen kommen», stimmte Marysa ihr aus tiefstem Herzen zu. «Am besten, du vergisst einfach, was ich dir erzählt habe. Vater hätte sicherlich nicht gewollt, dass du dich darüber aufregst.»
«Ich rege mich ja gar nicht auf!», sagte Jolánda aufgebracht. «Warum sollte ich mich darüber aufregen, dass meine Tochter mir ein Jahr nach dem Tod meines Gemahls von seinen dunklen Geschäften berichtet?»
«Mutter!» Marysa legte besorgt einen Finger an die Lippen.
Im nächsten Moment klopfte es leise an der Tür, und Vater Ignatius, der junge Gemeindepfarrer, streckte den Kopf in die Stube. «Verzeiht, Frau Marysa, aber ich muss mich jetzt verabschieden. Ich habe noch ein paar wichtige Aufgaben zu erledigen, schicke Euch aber zur weiteren Totenwache einen Kaplan vorbei.»
«Vielen Dank, Vater Ignatius. Das ist sehr freundlich von Euch.» Marysa nickte ihm zu und legte dann den Kopf auf die Seite, da sie seinen verlegenen Gesichtsausdruck bemerkte. «Gibt es noch etwas?»
Er räusperte sich umständlich. «Ähm, ja, gute Frau. Ich … also, es leuchtet mir ja ein, dass die ehrwürdigen Herren vom Marienstift auf der Aufklärung dieses schrecklichen Mordes bestehen, aber, mit Verlaub, es wird Zeit, dass der Junge begraben wird. Die Sommerhitze tut dem Leichnam nicht gut, und wenn er noch länger aufgebahrt bleibt, wird Euer ganzes Haus vergiftet.»
Marysa verzog das Gesicht. «Das weiß ich, Vater Ignatius, aber ich kann es nicht ändern. Wir haben keine Erlaubnis, Klas zu beerdigen.»
«Ja, nun, ich werde mich gerne in dieser Sache für Euch einsetzen», sagte der Priester und wischte sich den Schweiß von seiner Tonsur. Sein dünnes braunes Haar klebte ihm an den Schläfen. «Ihr habt schließlich schon genug Unannehmlichkeiten, und es besteht die Gefahr, dass der verwesende Leichnam Euch schlimme Krankheiten ins Haus bringt. Ich werde deswegen bei den ehrwürdigen Herren vorsprechen, wenn es Euch recht ist.»
«Aber ja, natürlich!», rief Jolánda aufgeregt. «Bittet sie um ein Einsehen. Dieser Zustand ist unmöglich. Meine Tochter wird das Haus ausräuchern müssen, und wer ersetzt ihr den Schaden? Eine Schande ist das, den armen Jungen oben in seiner Kammer verwesen zu lassen, wo ihm ein christliches Begräbnis zusteht! Geht nur. Geht und sagt ihnen das!»
«Ja, nun.» Etwas erschrocken über den kurzen, aber temperamentvollen Ausbruch von Marysas Mutter verabschiedete sich der Priester und entfernte sich eilig.
Marysa blickte ihre Mutter amüsiert an. «Du hast ihn erschreckt.»
«Und wennschon.» Jolánda stand auf und strich ihr Kleid glatt. «Wenn er sich schon für euch einsetzen will, dann soll er ruhig etwas Feuer unterm Hintern bekommen. Du hättest auch etwas sagen müssen. Es ist schließlich dein Heim, das vom Leichengestank verpestet wird.»
«Stimmt, es ist mein Haus. Aber niemand kann sich so gut aufregen wie du, Mutter. Außerdem hast du mich ja gar nicht zu Wort kommen lassen.» Marysa gab ihr einen Kuss auf die Wange. «Gehst du nach Hause?»
«Nur, wenn du mich hier nicht brauchst.»
«Sei unbesorgt. Ich werde schon alleine zurechtkommen.» Marysa hakte sich bei ihrer Mutter unter. «Ich begleite dich noch nach draußen.»
«Du rufst mich und deinen Schwiegervater aber sofort, wenn du Hilfe brauchst!»
«Das werde ich bestimmt. Und sobald ich Neues weiß, schicke ich Grimold in die Kockerellstraße, damit er dir Bescheid gibt.»
8. Kapitel
M arysa blickte ihrer Mutter nach, die, von ihrem Knecht Tibor
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