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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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halber einen Spalt offen stehen ließ.
    «Sie ist der gute Geist in meinem Haus», erklärte Jolánda. «Orsolya war bereits meine Kinderfrau und kümmert sich auch heute noch sehr pflichtbewusst um mich, wie Ihr seht.» Sie trug die Waschschüssel hinaus und setzte sich dann ihrem Gast gegenüber an den schweren rechteckigen Eichentisch. Während er aß, betrachtete sie ihn mit unverhohlenem Interesse, denn er war ein ausgesprochen ansehnliches Mannsbild. Fast schämte sie sich ein wenig dafür, dass sie seine breiten Schultern und die feingliedrigen Hände bewunderte. Auch hatte er eine recht angenehme Art zu sprechen, und die Blicke, die er ihr auf dem Weg zu ihrem Haus immer wieder zugeworfen hatte, wenn er dachte, sie merke es nicht, hatten ihr eine Gänsehaut beschert.
    Seit einem Jahr war sie in Trauer um Gotthold. Ihr Gemahl war immer sehr fürsorglich und rücksichtsvoll gewesen, doch sie konnte sich nicht entsinnen, dass einer seiner Blicke sie auch nur eine Minute lang so aus der Fassung gebracht hätte. Sie schalt sich eine dumme Gans, denn vermutlich bildete sie sich das alles nur ein. Ein Mann wie er war mit Sicherheit verheiratet und der Vorstand einer großen Familie. Sie sollte sofort aufhören, auf derart unzüchtige Weise an ihn zu denken. Schließlich war sie kein junges Mädchen mehr, das sich solche Flausen vielleicht noch leisten konnte.
    Sie nahm sich zusammen und sprach ihn erneut an: «Ihr seid also der Sohn des alten Meisters Goldschläger. Wie kommt es, dass Ihr mir in Aachen nie begegnet seid?»
    «Ich ging mit siebzehn auf Wanderschaft», erklärte Bardolf und wischte den Suppenteller mit einem Kanten Brot aus. «Seither war ich nur sehr selten auf Besuch hier. Aber wenn ich mich recht entsinne, sind wir uns doch einmal begegnet.» Er rieb sich kurz über das Kinn, auf dem sich der Schatten eines Bartansatzes abzeichnete. «Es war kurz vor meiner Abreise. Ich brachte einen Ring und eine Goldkette hierher als Geschenk für Meister Schrengers junge Braut.» Ein Lächeln trat in seine Augen, als er sich an jenen Tag erinnerte. «Mein Vater fand es damals recht erstaunlich, dass ein Mann wie Meister Schrenger sich eine Braut ausgesucht hat, die fast vierzig Jahre jünger war als er. Ich glaube, es gab damals auch einiges Gerede in der Stadt, dass er Euch vielleicht nicht mehr gewachsen sein könnte. Ihr galtet wohl – ja, jetzt erinnere ich mich genau! –, Ihr galtet als temperamentvoll und eigenwillig.» Sein Lächeln vertiefte sich. «Nun ja, als ich hier ankam, wart Ihr gerade über irgendetwas sehr wütend und habt Meister Schrenger laut ausgeschimpft.»
    Jolánda sah ihn einen Moment lang überrascht an, dann brach sie in herzliches Gelächter aus. «Tatsächlich, Ihr habt recht! Ich galt damals schon als schwierig. Manche Leute nannten mich auch launisch oder zänkisch. Wenn Ihr die Nachbarn befragt, wird man Euch auch heute noch Ähnliches über mich berichten – die Wörter ‹launisch› und ‹zänkisch› fallen vermutlich nur noch hinter meinem Rücken. Heute belässt man es wohl bei temperamentvoll und schiebt es auf meine ungarische Herkunft.» Sie schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort: «Bei der Sache an jenem Tag ging es, glaube ich, um die Unterbringung von Tibor und Orsolya. Die beiden teilen schon seit langer Zeit ein Lager, und mein Gotthold fand es unschicklich, dass ich als unschuldiges Mädchen so genau darüber Bescheid wusste und eine gemeinsame Kammer für die beiden verlangte.»
    Bardolf sah sie neugierig an. «Und habt Ihr ihn überzeugt?»
    «Natürlich habe ich das.» Jolándas Augen blitzten vergnügt.
    «Wie alt wart Ihr damals?»
    «Gerade vierzehn und ein halbes Jahr», sagte sie und zog eine Kette mit einem Sternenanhänger unter ihrem Kleid hervor. «Ich trage diese Kette seit jenem Tag, an dem Ihr sie gebracht habt.» Ihr Blick umwölkte sich eine Spur. «Den Ring habe ich am Tag der Beerdigung meines Gemahls abgelegt.»
    «Er fehlt Euch?» Mitfühlend blickte Bardolf Jolánda an.
    Sie nickte. «Jeden Tag. Er war ein guter Mann, in jeder Hinsicht.»
    «Ich fand es damals weniger verwunderlich, sondern vielmehr erschreckend, dass ein Mann in seinem Alter ein junges Mädchen zur Braut nimmt. Verzeiht, wenn ich das sage.»
    «Nun, ungewöhnlich ist es doch eigentlich nicht, oder?» Jolándas Miene heiterte sich wieder auf. «Meister Gotthold und mein Vater waren sehr gute Geschäftspartner. Da lag es doch nahe, dass sie dies mit einer derartigen

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