Die Stadt der Heiligen (German Edition)
gewesen war, hinausgeschafft hatten, wischte Marysa mit großer Sorgfalt den Boden. Der süßliche Gestank wollte dennoch nicht ganz verschwinden, deshalb schickte sie schließlich die beiden Mägde aus, im Garten und auf den freien Plätzen zwischen den Häusern am Büchel wohlriechende Kräuter zu sammeln, die sie im Zimmer ausstreuen konnten. Indes öffnete Marysa alle Fensterläden im oberen Geschoss und hoffte, dass der leichte Wind, der seit dem Vormittag aufgekommen war, das Haus durchlüften würde.
Die Beerdigung hatte am späten Vormittag stattgefunden, und da kaum Trauergäste erschienen waren, hatte Zunftmeister Alberich davon abgesehen, noch zu einem Leichenschmaus einzuladen. Marysa war es nur recht, denn sie fühlte sich alles andere als wohl bei dem Gedanken, Gäste zu bewirten, während ihr Gemahl in der Acht saß. Sie hatte ihn heute noch einmal kurz besuchen wollen, doch da er gerade befragt wurde, war ihr der Zutritt verweigert worden.
Sie trug den Eimer mit dem Schmutzwasser hinaus und leerte ihn im Rinnstein aus. Als sie sich wieder aufrichtete, nahm sie eine Bewegung und den Zipfel einer dunklen Kutte wahr. Sie stellte den Eimer ab und ging auf die Hausecke zu. «Fulrad, bist du das? Was machst du denn hier? Wie geht es dir?» Erfreut, den Sohn ihrer früheren Nachbarn aus der Kockerellstraße zu sehen, streckte sie beide Hände nach ihm aus. Sie und Fulrad hatten als Kinder oft miteinander gespielt, bis er im Alter von elf oder zwölf Jahren als Novize in das Augustinerkloster eingetreten war. Inzwischen hatte er es zu einer kleinen Pfründe gebracht und war Kanoniker im Marienstift.
Fulrad schien im ersten Moment erschrocken, als sie ihn ansprach, doch dann erkannte er sie, und seine Miene hellte sich auf. «Marysa! So eine Freude. Wie geht es dir?» Verlegen blickte er auf ihre von Wasserflecken übersäte Schürze. «Ich, hm, man schickt mich, bei dir nach dem Rechten zu sehen. Johann Scheiffart sagt, euer Geselle sei heute beerdigt worden, und lässt ausrichten, dass er sich noch einmal ausdrücklich für die lange Wartezeit entschuldigt. Wenn die Umstände anders gewesen wären, ähm …» Betreten blickte er zu Boden. «Dann hättet ihr ihn selbstverständlich nicht so lange in euerm Haus aufzubahren brauchen. Hm.»
«Das ist jetzt wohl nicht mehr zu ändern.» Marysa lächelte. «Nun haben wir es ja hinter uns. Ich wünschte nur, mein Gemahl wäre schon wieder frei.»
«Gewiss wird es nicht mehr lange dauern.» Fulrad bemühte sich sichtlich, sie aufzumuntern. «Jedermann in Aachen weiß doch um seinen guten Leumund und dass er sich niemals mit … na ja, mit gefälschten … Also bestimmt ist er bald wieder zu Hause.»
«Das hoffe ich sehr.» Marysa legte ihm eine Hand auf den Arm, was ihn offensichtlich noch verlegener machte. Vermutlich, weil er als Geistlicher die Berührungen einer Frau nicht mehr gewohnt war, auch wenn es sich um die einer Freundin aus der Kindheit handelte. «Komm doch herein und trink einen Schluck Wein mit mir. Meine Mutter ist in der Küche und hilft Balbina, Konkavelite zu machen. Du weißt doch noch, wie gerne ich das esse, nicht wahr? Sie wollen mir damit eine Freude machen nach all dem Ärger der letzten Tage, und nun mahlt Mutter fleißig Mandeln, während Balbina die Kirschen entsteint und aufkocht.» Sie zwinkerte. «Mandelpudding hast du doch früher auch gerne gemocht, nicht wahr?»
«Äh, ja, das habe ich wohl.» Fulrad blickte sich nervös um. «Verzeih, aber ich kann nicht lange bleiben. Die … die Pflicht ruft mich. Ich muss zurück ins Stiftshaus.»
«Wohnst du jetzt dort?»
Er nickte. «Ich habe endlich eine Wohnung zugeteilt bekommen und leiste jetzt meine Präsenzzeit ab. Länger als zwei Wochen am Stück darf ich mich in den nächsten anderthalb Jahren nicht aus Aachen entfernen.»
«Dann findet sich doch bestimmt eine Möglichkeit, mich zu besuchen, oder? Ich würde zu gern erfahren, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist. Deine Eltern haben mir zwar erzählt, dass du die Priesterweihe empfangen und eine Pfründe erhalten hast, aber du musst mir unbedingt alles ganz genau erzählen. Das machst du doch, nicht wahr?»
«Wenn … wenn es sich ergibt, komme ich gerne vorbei.» Fulrad nickte ihr zu. «Aber nun muss ich wirklich los. Ich wünsche dir alles Gute, Marysa.»
«Bis bald, Fulrad!», rief Marysa ihm nach, nahm ihren Eimer wieder auf und ging ins Haus. Eigentlich hatte sie vorgehabt, in der Küche vorbeizuschauen und
Weitere Kostenlose Bücher