Die Stadt der Heiligen (German Edition)
provisorischen Bretterverschlag drang unterdrücktes Grunzen und Stöhnen, dann das Kichern einer Frau. Christophorus machte einen Bogen und war froh, als er in einiger Entfernung das Ordenshaus der Dominikaner erblickte.
Sein Kopf schwirrte, nachdem er sich den ganzen Abend mit den Kanonikern auf Latein hatte unterhalten müssen, und sein Mund war trotz des guten Tropfens, den der Dechant hatte ausschenken lassen, trocken vom vielen Reden.
Christophorus hatte nur noch den Wunsch zu schlafen. Die Laudes war zwar nicht mehr allzu fern, doch bis dahin würde er sich bestimmt etwas erholt haben. Und alle Gedanken, die sich nicht mit den heiligen Gebeten und Gesängen befassten, würde er bis zum Morgen aus seinem Kopf verbannen.
Genau dies wurde ihm jedoch zum Problem, denn nachdem ihn der Bruder Pförtner auf sein Klopfen hin eingelassen und er seine Zelle aufgesucht hatte, begannen die Eindrücke des Tages in seinem Kopf zu kreisen.
Zwar hatte er sich tiefer in diese Angelegenheit verstrickt, als vielleicht nötig gewesen war, doch wenn er Marysa helfen wollte, ihren Gemahl aus dem Gefängnis zu holen, war eine Einmischung in die Belange des Marienstifts erforderlich. Diese wiederum war nur möglich geworden, nachdem er sich als Inquisitor zu erkennen gegeben hatte.
Er ließ sich auf seine Pritsche sinken und zog sich dabei aus. Leicht verdrießlich erblickte er am Saum seines Habits und an den Ärmeln bräunliche Flecke. Er faltete es zusammen und legte es beiseite, um es am nächsten Morgen zur Wäsche zu geben, und zog aus der kleinen Kiste, die ihm zur Aufbewahrung diente, ein sauberes Gewand. Dann schälte er sich aus der Bruch, die ebenfalls dringend gereinigt werden musste, und streckte sich nackt auf seiner Schlafstatt aus. Durch das Fenster wehte ein leichter Luftzug in die Zelle und hauchte eine angenehme Kühle über seinen Körper.
Christophorus verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in die Dunkelheit. Es gab offenbar jemanden in Aachen, der ein gutes Geschäft mit falschen Reliquien machte. Bisher waren zwar erst zwei davon aufgetaucht, doch wo diese beiden herkamen, würden sich mit großer Wahrscheinlichkeit noch weitere finden. Er hielt die beiden Funde jedenfalls nicht für einen Zufall. Und noch weniger glaubte er, dass Reinold Markwardt etwas damit zu tun hatte.
Von Marysa hatte sich Christophorus inzwischen ein ziemlich genaues Bild gemacht, wie er fand. Sie war eine gescheite Frau, die mehr vom Reliquienhandel und dessen Feinheiten verstand, als man bei einer Frau annehmen würde. Die wenigen Bemerkungen, die er ihr entlockt hatte, und das Urteil über das gefälschte Knöchelchen waren beeindruckend. Sie hätte es sicherlich bemerkt, wenn ihr Gemahl sich einem so fragwürdigen Geschäft verschrieben hätte. Und dass sie ihn deckte, glaubte Christophorus auch nicht, denn dazu war sie wohl nicht gerissen genug. Nach allem, was er von Aldo über sie gehört hatte, war sie ein viel zu ehrlicher Mensch, als dass sie solch schwerwiegende Lügen lange Zeit aufrechterhalten konnte.
Christophorus stimmte Aldos Einschätzung in diesem Punkt zu, denn er hatte schon bei seinem ersten Zusammentreffen mit ihr und auch heute bemerkt, dass sie keine Freundin der Verstellung war. Sie hatte ihm in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, dass sie ihn und vor allem sein Tun als Ablasskrämer sehr geringschätzte. Außerdem war sie misstrauisch und argwöhnte wohl noch immer, dass er ihr wegen ihres Bruders Schwierigkeiten machen wollte.
Christophorus drehte sich auf die Seite und zog die dünne Wolldecke unter sich hervor, um sie über sich auszubreiten. Dann schloss er die Augen.
Ihre kühle und distanzierte Art lag ihm nicht besonders. Er konnte ihr eine gewisse Unsicherheit ihm gegenüber nicht verdenken, immerhin waren sie einander vollkommen fremd. Allerdings war er davon ausgegangen, dass die liebenswürdige Marysa, als die Aldo sie immer beschrieben hatte, ihm weniger kritisch begegnen würde. So wachsam, wie er sie bislang erlebt hatte, musste er sich wohl oder übel vorsehen, damit sein Geheimnis nicht von ihr entdeckt würde.
Am besten war es wohl, so bald wie möglich weiterzuziehen. Wenn er dabei helfen konnte, Reinold Markwardt aus dem Gefängnis zu holen, würde Marysas Leben und das ihrer Familie bald wieder in ruhigen Bahnen verlaufen. Es gab dann keinen Grund mehr für ihn, sich weiter um ihr Wohlergehen zu sorgen. Nach der Heiltumsweisung würde er, wie geplant,
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