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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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verspürte Griet nicht. Früher hatte sie gerade in den Vierteln rund um den prachtvollen Platz jedes Haus gekannt, doch die Gebäude mit den hohen Mauern und Bögen, den galanten Giebeln und Verzierungen wirkten fremd auf sie. Brüssel hatte seit den Jahren des Aufstands sein Gesicht verändert. War die reiche Handelsstadt noch in Griets Kindheit Schauplatz glanzvoller Hoftage und Bankette des Adels gewesen, so hatten inzwischen Scheu und Armut Einzug gehalten. Die Stadt war leise geworden, als bemühe sie sich verzweifelt, nicht auf sich aufmerksam zu machen. Die Menschen bewegten sich vorsichtig. Selbst auf dem riesigen Marktplatz ging es ruhiger zu; es wurde mehr getuschelt als lebhaft gefeilscht. Stimmengewirr, Musik und Gesang drangen nur aus den wenigsten Schenken. Griet erinnerte sich daran, wie ihr Vater die Abdankungsfeierlichkeiten von Kaiser Karl V. geschildert hatte. Damals war die Stadt beinahe übergequollen vor Rittern in glänzenden Rüstungen, prunkvoll gewandeten Edelleuten und herausgeputzten Damen, die am Hoftag in der kaiserlichen Residenz teilgenommen hatten. Tagelang war in den Straßen der Stadt geprasst worden. Küchenmeister und Bänkelsänger, Gaukler und Poeten hatten ihr Können aufgeboten, um aus dem Regierungswechsel ein bedeutendes Ereignis zu machen, das die Welt nicht so rasch vergessen sollte. Junge Mädchen hatten Rosenblätter aus den Fenstern geworfen, die ganze Stadt war mit farbenfrohen Bannern und Fahnen geschmückt gewesen. Doch die Regierung des Sohnes von Kaiser Karl, Philipp, hatte den Provinzen nicht das ersehnte Glück gebracht, im Gegenteil. Ein einziges Mal hatte Griet den König gesehen, als er mit einigen seiner Vertrauten in majestätischem Zug auf einem Schimmel an ihrem Vaterhaus vorbeigeritten war. Ihre Mutter hatte damals dafür gesorgt, dass jedes Fenster bis hinauf zum Dachboden mit spanischen Fahnen geschmückt wurde, und sie war voller Stolz in einer golddurchwirkten Robe vor die Tür getreten, um dem neuen Herrn über die Niederlande zu huldigen. Griet war verboten worden, sich blicken zu lassen, doch hinter einem Fenster hatte sie mit angesehen, wie der junge König ihrer Mutter feurige Blicke zugeworfen hatte. Bald darauf war ihr Vater in die königliche Rechnungskammer von Brabant berufen worden.
    Die Eindrücke und Erinnerungen, die der Anblick der Häuser rund um den Platz in ihr wachrief, strengten sie an. Sie sehnte sich danach, sich in ihrem Elternhaus auszuruhen, bevor sie sich auf die Suche nach der ominösen Cäcilia und ihrem Buch machten.
    «Ich hoffe, Euer Vater hat nichts dagegen, dass wir unter seinem Dach Zuflucht suchen, während er nicht in der Stadt ist. Don Luis saß kerzengerade im Sattel, aber seine gespielte Fröhlichkeit täuschte nicht darüber hinweg, dass er am Ende seiner Kräfte angelangt war. Umständlich wich er einer Schar zerlumpter Bettler aus, die von einem Büttel Richtung Brabanter Tor getrieben wurde.
    «Mein Vater erfreut sich doch schon seit geraumer Zeit meiner Gastfreundschaft», meinte Griet ungerührt. «Es sollte ihn nicht stören, dass ich in seinem Haus übernachte. Schließlich war ich hier einmal daheim, wenngleich das auch lange her ist.»
    Griet gab sich gelassen, doch innerlich zitterte sie vor Aufregung, als sie nach einigem Suchen in die ruhige Seitenstraße nahe der Kirche von St. Michael einbog. Vor Ausbruch des Bürgerkriegs hatten hier zahlreiche königliche Hofbeamte gewohnt. Neben deren Anwesen, die zum Teil Palästen glichen, wirkte das Haus des Advokaten van den Dijcke bescheiden. Griet stutzte. Sie hatte es größer und auch stattlicher in Erinnerung gehabt. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass der Putz abblätterte. Der schmiedeeisernen Laterne, die neben der Tür hing und in der bei Tag und Nacht eine Kerze brennen sollte, fehlte das Glas, und auch der kleine Hof mit der Remise für die Sänfte, in der sich ihr Vater einst ins Amt hatte bringen lassen, sah verwildert aus. Im Haus brannte kein Licht. Griet zweifelte schon, vor dem richtigen Gebäude zu stehen, als sie ein schwaches Plätschern hörte. Ohne zu zögern betrat sie den zugewachsenen Innenhof und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ihr Blick auf einen steinernen Brunnen fiel. Plätschernd fiel das Wasser durch ein aufgerissenes Fischmaul in ein halbrundes Becken, dessen Boden mit Moos bewachsen war. Griet tauchte ihre Hand hinein und genoss das Prickeln, welches das eisige Wasser auf ihrer Haut hinterließ. Wie

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