Die Stadt der schwarzen Schwestern
oft hatte sie sich als kleines Mädchen hier draußen die Hände gewaschen, bevor sie ins Haus zu ihrer Mutter durfte. Der stumme Fisch war in ihrer Kindheit ein guter Freund gewesen. Er war noch immer da und hatte demnach nie aufgehört, die Bewohner des Hauses zu erfrischen.
Als Griet sich endlich von dem Becken losreißen konnte, stellte sie fest, dass Don Luis in einigem Abstand zum Brunnen stehen geblieben war. Seine Miene verriet, dass er spürte, was in Griet vorging, und er ließ sie geduldig in Erinnerungen schwelgen. Griet war ihm dafür dankbar.
Auf Griets Klopfen hin öffnete eine Dienerin. Die Frau war jung und stammte ihrem Dialekt nach nicht aus Brüssel, sondern aus einer der nördlichen Provinzen. Unsicher, wie sie mit den beiden Fremden umgehen sollte, die um Einlass baten, ließ sie Griet und Don Luis erst einmal warten, um sich von einer älteren Magd Rat zu holen. Auch die Frau, die kurz darauf an die Tür kam, war Griet unbekannt. Sie kaute, offensichtlich war sie beim Essen gestört worden, was ihre Laune beeinträchtigte.
«Die Herrschaft ist nicht da», sagte sie mürrisch, nachdem sie den Mund frei hatte. «Kommt ein andermal wieder!»
Griet schluckte; sie hatte befürchtet, sich mit der Dienerschaft ihres Vaters herumschlagen zu müssen. Sie war einfach zu lange nicht mehr hier gewesen. Aber es mussten doch noch Knechte und Mägde im Haus sein, die sich an sie erinnerten. Zu ihrer Verwunderung lachte die ältere Frau sie aus, als sie sich als Tochter des Hausherrn zu erkennen gab.
«Verkohlen kann ich mich selbst, Mädchen. Der Herr hat gar keine Tochter, das müsste ich wissen, wo ich ihm doch schon so lange diene. Macht besser, dass ihr verschwindet. Ich habe strikte Anweisung, kein Bettelpack ins Haus zu lassen.»
Bettelpack? Griet war entsetzt. Was sollte das nun wieder bedeuten? Als Bettlerin hatte man sie noch nie beschimpft, allerdings musste sie zugeben, dass sie in ihrer von Schlamm und Regen beschmutzten Aufmachung nicht besonders ordentlich aussah. Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Doch plötzlich kam ihr ein Einfall.
«Steht an der Stirnseite der Halle noch der schwere Lehnstuhl mit dem Brokatkissen? Er wurde einst mit großen Nägeln an der Wand befestigt.»
Die Magd runzelte argwöhnisch die Stirn, sagte aber nichts. Die Frau wusste offenbar, wovon sie sprach.
«Als Kind habe ich meinen Namen auf die Unterseite der rechten Armlehne geschnitzt. Ihr müsstet ihn ertasten können. Schaut nach, wenn Ihr mir nicht glaubt. Ich war hier zu Hause!»
Die Magd schien erbost. Doch bevor sie Griets Bemerkung als Hirngespinst abtat, gab sie der jüngeren Dienerin, die neugierig die Ohren spitzte, den Auftrag, die Behauptung der Fremden auf der Türschwelle zu überprüfen.
«Ich warne Euch, wenn Ihr mir meine Zeit stehlt oder versucht, mich hinzuhalten, damit Ihr eindringen und uns ausrauben könnt …»
Keine zwei Minuten später kehrte die junge Dienerin zurück. Sie strahlte.
«Da ist tatsächlich etwas in die Armlehne eingeritzt. Lesen konnte ich es nicht, weil …»
«Weil du ebenso wenig lesen kannst wie ich», fiel ihr die Alte grob ins Wort, als sei es eine Zumutung, Derartiges von einer Dienstmagd zu verlangen. Allerdings wurden ihre strengen Züge nun doch ein wenig weicher.
«Ich begreife allmählich», sagte sie mit plötzlich teilnahmsvoller Stimme. «Nun, das ist ja eine schöne Bescherung. Damit rechnet man ja nicht. Nicht nach drei Jahren.»
«Nach drei Jahren?», hakte Don Luis nach. «Wollt Ihr damit sagen, dass dieses Haus gar nicht mehr dem Advokaten van den Dijcke gehört?»
Die Magd lachte bitter auf. «Ach ja, so hieß der Bursche, der früher hier lebte. Jetzt fällt es mir wieder ein. War das Euer Vater, armes Kind?»
Griet nickte langsam. Sie war bestürzt, aber allmählich begann sich auch in ihrem Kopf der Nebel zu lichten. Daher hatte ihr Vater auf ihre Fragen nach seinem Grundbesitz in Brüssel so ausweichend reagiert. Kein Wunder, dass er nichts von der Dienerschaft erzählt und sich geweigert hatte, seinen Leibdiener mit Geld und Kleidern nach Oudenaarde kommen zu lassen. Haus und Hof gehörten ihm nicht mehr.
Die Magd hatte nun endlich ein Einsehen und ließ Griet und Don Luis eintreten. «Der Herr muss ja nichts davon erfahren», erklärte sie. Während Griet die Halle durchquerte, wuchs ihr Unbehagen. Soweit sie feststellen konnte, hatte sich hier nicht viel verändert. Die wuchtigen Truhen aus Eichenholz, die Griet in ihrer
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