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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Jugend immer ein wenig eingeschüchtert hatten, gab es noch, ebenso die Teppiche, die den Dielenboden bedeckten. Sie wirkten abgetreten, waren aber nicht fortgeschafft worden. Dem neuen Hausherrn war es vermutlich zu mühsam gewesen, die Halle nach seinem Geschmack einzurichten, woraus Griet schloss, dass er entweder geizig oder unverheiratet war. Eine Frau hätte dem düsteren Raum gewiss Leben eingehaucht und wäre mit ihren Mägden dem Muff zu Leibe gerückt. Die einzige Veränderung, die Griet feststellen konnte, waren die neue Dienerschaft, eine Wappentafel aus Zinn an der Wand, die ihr nichts sagte, und ein reichlich finsteres Ölporträt, das einen spitzgesichtigen, rotbärtigen Mann mit stechenden Augen darstellte, der sich in ritterlicher Pose auf ein Schwert stützte.
    «Ist das Euer Dienstherr, Frau?», wollte Griet wissen.
    «Gewiss doch, das ist Graf Beerenberg.» Sie lächelte wie ein verliebtes Mädchen. «Aber auf dem Gemälde war er noch etwas jünger.»
    «Und wie ist er an das Haus meines Vaters gekommen?» Griet hatte nicht vorgehabt, diese Frage zu stellen, weil sie sich die Antwort denken konnte. Ihr Vater hatte sie nach Strich und Faden belogen und ausgenutzt. Er war kein königlicher Beamter mehr, sondern ein Herumtreiber, der kaum mehr besaß als das, was er auf dem Leib trug. Vermutlich war er, als das Wasser ihm bis zum Hals stand, auf Schusters Rappen durch die Ardennen gewandert, um bei ihr in Oudenaarde unterzuschlüpfen. Dort stapelten sich seitdem die Rechnungen der Schuh- und Hutmacher, Gewandschneider und Gastwirte auf ihrem Schreibpult.
    Die Wirtschafterin des Grafen erzählte Griet bei einem Becher heißer Buttermilch alles, was sie über die Angelegenheit wusste. Sie hatte beschlossen, die beiden nicht vor die Tür zu setzen, sondern sie im Haus ihres Herrn übernachten zu lassen. Sie bestand sogar darauf, dass Griet ihre alte Kammer neben der Treppe bezog, sie glaubte, ihr damit eine Freude zu machen. Das Stübchen diente heute nur noch als Abstellkammer und war bis zur Decke voller Gerümpel, Gegenstände, die nach Sinter van den Dijckes Auszug für nutzlos angesehen wurden. Griet störte das nicht. Sie hatte während der letzten Nächte oft unbequemer geschlafen. Außerdem ahnte sie, in dieser Nacht kein Auge zumachen zu können.
    «Morgen früh nach Sonnenaufgang verschwinden wir von hier», versuchte Don Luis sie zu beschwichtigen. «Vergesst nicht, dass wir nicht in Brüssel sind, um uns um das Haus Eures Vaters zu kümmern, sondern um diesen Gelehrten zu finden, den Freund des Paters.»
    «Das Haus meines Vaters», murmelte Griet verbittert. «Mein Vater hat kein Haus mehr. Er hat es verloren. Bei einem verflixten Kartenspiel.»
    Don Luis zuckte die Achseln. «Das soll schon vielen ehrenwerten Herren passiert sein. Euer Vater ist, wenn Ihr mir diese Bemerkung erlaubt, ein Leichtfuß. Ohne die Rente, die der König ihm gezahlt hat, wäre er schon lange verhungert. Aber er scheint nach dem Tod Eurer Mutter auch keinen rechten Lebenswillen mehr aufzubringen. Er muss sehr einsam gewesen sein. Alles, wofür er einst gelebt hat, ist ihm zwischen den Fingern zerronnen. Kein Wunder, dass er die gefährliche Reise auf sich nahm, um bei Euch zu sein.»
    «Bei mir oder bei einem warmen Ofen?»
    «Ist das wichtig? Er ist drei Jahre irgendwo herumgeirrt und hat vermutlich von der Hand in den Mund gelebt, bevor er sich ein Herz nahm, um zu seiner Tochter zu reisen.»
    Griet riss verwundert die Augen auf. Von dieser Seite hatte sie es noch nicht betrachtet, dennoch sträubte sie sich gegen den Gedanken, ihren Vater als Opfer zu sehen.
    «Ich habe ihn doch nicht gezwungen, zu trinken, zu spielen und sein Geld zu verprassen», entgegnete sie Don Luis trotzig. «Wäre er früher zu mir gekommen und hätte mir von seinem Unglück erzählt, hätte ich ihm …»
    Don Luis lachte. «Was? Die Hölle heiß gemacht?»
    Bin ich wirklich so schlimm?, überlegte sich Griet. Jage ich den Menschen Angst ein, oder bin ich so abweisend, dass sie sich fürchten, mir mit Vertrauen zu begegnen? Hatte sich Willem in den letzten Monaten vor seinem Tod deswegen von ihr zurückgezogen? Erst vorsichtig, dann energischer berührte Griet ihren gefühllosen Arm, bis sie schließlich ihre Fingernägel derb in das weiche Fleisch bohrte. Wie gewöhnlich spürte sie nichts, absolut nichts. Was, wenn ihr Herz bald genauso taub war wie ihr Arm? Der Gedanke erschreckte sie. Ihr Blick fiel auf eine Schneiderpuppe, über

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