Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
Sinn war, würde die ihre Geschichte vermutlich doch als Hirngespinst abtun. Statt nach Erklärungen zu suchen, sagte sie: «Das Bündel, das die Hure gestohlen hat, gehört mir. Ich muss es zurückhaben.»
    Dotteres lachte bitter auf. «Und sonst hast du keine Sorgen?» Sie stieß die knarrende Tür auf, trat zurück und machte eine einladende Handbewegung. «Bitte, nur zu. Versuch dein Glück, Schwester. Aber erwarte bloß nicht, dass ich dir helfe. Ich habe genug Schwierigkeiten am Hals und will mit derlei Dingen nichts zu tun haben.»
    Cäcilia erwartete keine Hilfe, und doch brach ihr der Schweiß aus allen Poren, als sie in den Schuppen zurückging und auf das glühende Kohlebecken zuschritt. Sie entdeckte die Pockennarbige gleich. Sie hatte sich mit ihrem Diebesgut, das ihr niemand streitig machte, in einen Winkel des Schuppens verzogen, um es in aller Ruhe zu begutachten. Ihrer Miene nach war sie enttäuscht; offensichtlich hatte sie mit etwas Essbarem oder sogar mit ein paar Münzen gerechnet.
    Während Cäcilia die Frau beobachtete, sank ihr Mut, und sie fühlte sich schwach. Die Jahre im Kloster hatten sie zwar weiß Gott nicht verweichlicht, aber die Hure war ungeachtet ihres verblühten Gesichts jünger als sie und darüber hinaus auch kräftiger. Freiwillig würde sie Cäcilias Eigentum nicht herausrücken. Cäcilia musste versuchen, es ihr wieder abzujagen.
    «Du hast meine Sachen gestohlen», sprach Cäcilia die Frau an. Um ihrer Anklage zu unterstreichen, reckte sie das Kinn und stemmte ihre Arme in die Taille, wie sie es früher oft bei Marktweibern beobachtet hatte, die einen Streit miteinander austrugen. Die Hure beeindruckte das wenig. Sie hob kaum den Kopf, schien aber zu grinsen.
    «Hättest nicht weggehen sollen, Herzchen!» Die Stimme der Frau triefte vor geheuchelter Anteilnahme. «Ich hab das Bündel gefunden, also behalte ich es.»
    «Unter einem kleinen Mädchen hast du es gefunden, das darauf hockte, um es für mich zu hüten», stieß Cäcilia wütend hervor. «Schämst du dich denn gar nicht?»
    Cäcilias Worte verdarben die gute Laune der Hure. Sie sagte: «Ich gebe dir einen guten Rat, Schwester. Sieh zu, dass du verschwindest, sonst sorg ich dafür, dass der Bettelvogt sich mit dir beschäftigt.» Sie stand auf und klopfte sich das Stroh vom Rock, während Cäcilia wie erstarrt stehen blieb. Die Frau begann nun, sie zu umkreisen wie ein Raubtier, das auf Beute aus ist.
    «Ich hab gesehen, was du in dem Bündel versteckst. Ein Buch, nicht wahr, Herzchen? Uralt und in einer fremden Sprache geschrieben, da springen bestimmt ein paar Gulden für mich heraus. Nicht dass ich etwas von solchem Kram verstehen würde, aber sicher hat der ehrenwerte Großrichter von Brabant ein offenes Ohr für mich, wenn ich es zu ihm bringe. Das Zauberbuch und die entlaufene Nonne, die es aus ihrem Kloster gestohlen hat, um es zu verhökern. Ich kenne den Sekretarius des frommen Herrn. Der Kerl kam fast jeden zweiten Abend zu mir, als ich noch drüben arbeitete.»
    Cäcilia zuckte nicht mit der Wimper, doch die Hure schien geübt darin, in den Gesichtern der Menschen zu lesen. «Na, was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?», fragte sie höhnisch. «Gefällt dir mein Vorschlag?»
    Cäcilia sog die stickige Luft ein. Ihre Handflächen begannen zu schwitzen, und ihre Augen tränten vom Ruß der Lampen. Sie bemerkte, wie die jungen Männer auf ihr Wortgefecht aufmerksam wurden. Sie gaben mit schwerer Zunge anzügliche Kommentare von sich, um die Hure weiter aufzustacheln. Cäcilia verstand, warum. Die Burschen wollten sie mit ihr kämpfen sehen. Von fern hörte sie Dotteres schimpfen, aber sie drehte sich nicht nach der jungen Diebin um. Wozu auch? Hilfe war von dieser Seite nicht zu erwarten.
    Die Pockennarbige wandte sich den angetrunkenen Bettlern zu und versprach den Männern mit einem boshaften Lächeln gute Unterhaltung. «Die Betschwester werde ich unter meinen Absätzen zertreten wie eine Wanze», prahlte sie.
    «Ich will nur das zurückhaben, was mir gehört», sagte Cäcilia. «Nicht mehr, aber auch nicht weniger.»
    Die Menge brach in Gelächter aus. «Jeder von uns will, was ihm zusteht», rief ein bärtiger Greis, der nur noch Lumpen am Leib trug. «Ich wünsche mir das Haus der Herzöge von Brabant, dazu eine Kutsche und einen Leibdiener. Aber der Rat erhört mich leider nicht.»
    «Halt, Freunde, so macht das doch keinen Spaß», wandte einer der Würfelspieler ein. «Ich habe noch nie eine

Weitere Kostenlose Bücher