Die Stadt der schwarzen Schwestern
Ausgang zu schleppte. «Ich will sie mitnehmen.»
«Balthasar und Wilhelmina werden darauf aufpassen wie zwei Luchse. Die Knirpse sind schon sehr gewitzt für ihr Alter.» Die Frau warf den Kindern einen vielsagenden Blick zu und gab dem Mädchen, das sich sogleich auf Cäcilias Decke ausbreitete, mit einigen Gesten zu verstehen, dass sie gleich wieder zurück war.
Vor dem Tor hockten zwei halbwüchsige Jungen, die Nüsse knackten. Außerdem behielten sie die Gasse, die an dem Hurenhaus vorbeiführte, im Auge, um die anderen im Notfall warnen zu können. Es war allerdings unwahrscheinlich, dass der Bettelvogt um diese Zeit noch einmal seine Runden drehte. Vermutlich steckte der städtische Bedienstete selbst in einem Zuber des Badehauses oder ließ es sich bei einer der Dirnen gutgehen.
«Verzieht euch», herrschte Dotteres die Knaben an, als diese neugierig Cäcilia anstarrten. «Wir müssen mal, und im Schuppen ist der Kackeimer voll!»
In Dotteres’ Stimme lag eine Autorität, um die Cäcilia sie bewunderte. Die Jungen wagten nicht, ihr zu widersprechen. Sie murrten zwar leise, schnappten sich aber ihr Körbchen mit Nüssen und verschwanden damit in der Finsternis.
Cäcilia atmete befreit auf, als sie im Gebüsch zwischen zwei Häusern eine Stelle fand, wo sie sich Erleichterung verschaffen konnte. Hoch über ihrem Kopf hörte sie durch ein offenes Fenster das Lachen einer Frau, das sich mit dem Klang einer Flöte mischte. Sie atmete tief durch, versuchte, so viel frische Luft wie nur möglich in die Lungen zu pressen. Wenig später ließ der Schmerz in ihren Eingeweiden nach, auch der Druck im Kopf wich. Als sie ihre Röcke in Ordnung brachte und wieder zu Dotteres zurückkehrte, fühlte sie sich bereits viel besser.
Da stürmte auf einmal der kleine Balthasar ins Freie; verzweifelt sah er sich nach seiner Mutter um. Als er sie entdeckte, winkte er aufgeregt. Sogar in der Dunkelheit konnte Cäcilia erkennen, dass seine linke Wange gerötet war, als habe er soeben Dresche bezogen.
«Was machst du hier draußen, kleiner König?», rief Dotteres streng. «Solltest du nicht bei deiner Schwester bleiben und aufpassen?»
Der Kleine wurde rot und stammelte: «Die Frau, die mit den Männern beim Würfelspiel saß …»
«Habe ich dir nicht verboten, zu dem liederlichen Weibsbild hinüberzuschauen? Verflixter Bengel, du bist zu jung für solche Schweinereien.»
«Habe ich doch gar nicht, Mutter», verteidigte sich Balthasar. «Ehrlich nicht. Aber sie ist zu uns rübergekommen, gleich nachdem du mit der Frau rausgegangen bist. Sie hat Wilhelmina einfach weggeschubst und sich das Bündel der Fremden geschnappt.»
«Was?» Cäcilia durchfuhr ein eisiger Schrecken; gleichzeitig schalt sie sich eine Närrin, weil sie, von ihrer Schwäche überwältigt, nicht besser auf ihre Habseligkeiten aufgepasst hatte. Das Buch hatte Menschenleben gekostet. Und was tat sie? Sie überließ es dem Schutz von Kindern. Am liebsten hätte sie ihre Wut und Verzweiflung in die Nacht hinausgeschrien.
«Als ich es ihr wieder wegnehmen wollte, hat sie mir eine Ohrfeige gegeben», sagte der Junge aufgebracht.
Dotteres fuhr ihrem Sohn mit grimmiger Miene durch den wilden Haarschopf, eine grobe, sehr mütterliche Geste. Sie hatte allen Grund, auf den Jungen stolz zu sein, der versucht hatte, Cäcilias Habseligkeiten zu verteidigen. «Hat dir niemand geholfen?», wollte sie wissen.
Balthasar schüttelte langsam den Kopf. Dass seine Mutter nicht auf ihn böse war, sondern den Gaunern im Schuppen grollte, schien ihm Mut zu machen. Seine Stimme klang fester, als er erklärte: «Die Jungen, die draußen Wache halten sollten, sagen, es sei nicht schlimm, die Fremde zu beklauen. Die gehöre gar nicht zu uns, sondern sei eine Nonne, die aus ihrem Kloster abgehauen ist. Wenn die Spanier sie unterwegs auf der Flucht erwischten, drohe ihr der Scheiterhaufen, haben sie gesagt. Und allen anderen, die ihr helfen, auch.»
Dotteres fuhr argwöhnisch zu Cäcilia herum, die wie vom Donner gerührt dastand. Wie bei allen Heiligen hatten die Spitzbuben sie nur entlarvt? Was hatte sie falsch gemacht? War es ihre Art, sich zu bewegen, oder hatte sie im Fieber zu laut auf Lateinisch gebetet?
«Stimmt es, was der Junge sagt?»
Cäcilia bemühte sich um ein Lächeln, das ihr misslang. Wie sollte sie dieser Frau auch erklären, wer sie war und was sie in Brüssel suchte? Selbst wenn sie Dotteres überzeugte, dass sie keine entlaufene Nonne im herkömmlichen
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