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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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sie, dass sie nach all den Jahren im Kloster noch wie eine Frau empfand. Sie fühlte sich sogar geschmeichelt, was ihr guttat. Die schwarzen Schwestern wären über diesen Anflug von Eitelkeit zu Recht außer sich gewesen, aber hatten sie Cäcilia nicht ohnehin klargemacht, dass sie nicht wirklich zu ihnen gehörte? Seit dem Mord an Bernhild und ihren Mitschwestern trug sie eine gefährliche Last auf ihren Schultern. Das musste als Rechtfertigung genügen.
    «Warum habt Ihr Euer Kloster verlassen?», fragte Tobias so beiläufig wie möglich. Er wollte nicht neugierig klingen und das Vertrauen, das zwischen ihm und Cäcilia langsam entstand, zerstören. «Ihr dürft Euch mir anvertrauen, meine Liebe. Ich beschütze Euch.»
    Cäcilia kratzte schweigend den Rest Gemüsebrei aus der Schüssel und schob ihn sich in den Mund. Dann gab sie sich einen Ruck. «Das Kloster hat mich verlassen, nicht umgekehrt. Es war nicht mein Wunsch, die Sicherheit hinter den Mauern meines Konvents gegen … das hier zu tauschen, aber mir blieb keine andere Wahl.» Sie stutzte. «Wie habt Ihr eigentlich erraten, dass ich einem Orden angehörte?»
    Tobias hob die Hand und berührte behutsam Cäcilias Kopf. Sie zuckte zusammen, und plötzlich verstand sie. Als sie einen Schlafplatz gesucht hatte, hatte sie ihr graues, kurzgeschorenes Haar unter einem Tuch verborgen. Doch das musste sie im Dunkeln verloren haben, ohne es zu bemerken. Hinzu kam ihre Kette mit dem Kruzifix. Kein Wunder, dass ihr Anblick Argwohn ausgelöst hatte.
    «Ihr wärt nicht die erste Nonne, die vorhat, ein neues Leben zu beginnen, nachdem sie mit ketzerischem Gedankengut in Berührung gekommen ist», sagte Tobias. «Ich habe erst vor vier Monaten zwei ehemaligen Benediktinerinnen geholfen, aus Gent zu entkommen. Sie fühlten sich in der Kleidung, die ich ihnen besorgte, unbehaglich. Als trügen sie eine fremde Haut. Fortwährend griffen sie sich an den Kopf, weil sie fürchteten, man könnte ihr kurzes Haar bemerken. Manchmal rieben sie die Finger gegeneinander, als ob sie die Perlen eines Rosenkranzes abzählten.»
    Cäcilia stellte die Schüssel auf den Boden. Sie konnte nur hoffen, dass sie es Tobias leichter machen würde, seinen Auftrag zu erfüllen. Angst hatte sie auch, Todesangst sogar. Jedoch nicht vor den Männern der Inquisition oder vor den Calvinisten, sondern vor Bernhilds Mördern, die gewiss längst ihrer Spur folgten, um sie zum Schweigen zu bringen.
    «Es könnte gefährlich werden, sich mit mir abzugeben», sagte sie, nachdem sie eine Weile den Kohlen zugesehen hatte, von denen winzige rote Fünkchen in die Luft stoben. «Ich bringe den Tod.»
    «Keine Sorge, an schwierige Frauen bin ich gewöhnt.»
    Cäcilia schüttelte den Kopf. «Nein, ich meine damit weder die Spanier noch die Inquisition. Es gibt einen anderen, der hinter mir her ist, um mich zu vernichten. Ich kenne weder seinen Namen noch sein Gesicht. Er hat meine Mitschwestern getötet, als wir auf dem Weg nach Oudenaarde waren. Ich konnte im letzten Moment entkommen, weil ich …» Überwältigt von ihren Erinnerungen, holte sie tief Luft. Vor ihrem geistigen Auge beschwor sie die letzten Augenblicke herauf, die sie mit den Schwestern verbracht hatte. «Ich war wütend auf meine Oberin, weil sie mich zwingen wollte, in dem Dorf zu bleiben, in dem wir rasteten. Ich spürte, dass die Frauen etwas vorhatten, in das sie mich nicht einweihen wollten. Wir stritten uns fürchterlich, und dann lief ich davon. Aber zuvor sah ich noch, wo sie das Buch versteckten.»
    «Das Buch, um das Ihr vorhin gekämpft habt?»
    «Ich weiß nicht, warum ich es mitgenommen habe», gestand Cäcilia. Und das entsprach der Wahrheit. Sie hatte sich seit jener unheilvollen Nacht oft gefragt, wieso sie das Buch nicht einfach in seinem Versteck gelassen oder es unterwegs im Wald vergraben hatte. Sie hätte es auch dem Erzbischof von Lüttich ausliefern und sich seiner Gnade anheimstellen können. Aber keine dieser Möglichkeiten hatte sie auch nur für einen Moment in Betracht gezogen. Allein die Vorstellung, sich von dem Buch zu trennen, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Auch das erfüllte sie mit Angst.
    «Kann es sein, dass dieses Buch Euch verhext hat?», fragte Tobias. Er lächelte nicht mehr. Sorgenvoll blickte er Cäcilia an. «Ich weiß schon, ich soll Euch nicht darauf ansprechen. Aber ich meine es nur gut. Davon abgesehen habt Ihr davon angefangen. Wenn das Buch so großen Einfluss auf Euch hat, solltet Ihr es

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