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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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hatte seinen Wert. Wer von Lebenden stahl, wurde totgeschlagen, doch der Tod selbst lud ein, sich zu nehmen, was brauchbar war. Cäcilia ballte keuchend die Fäuste und erbat von Gott, dem sie jahrelang gedient hatte, die Kraft, bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. So rasch starb man nicht, sagte sie sich. Weder an Fieber noch an Magenschmerzen.
    Plötzlich hielt ihr jemand einen Kanten Brot unter die Nase. Es war das Bettelweib mit den beiden Kindern, die von ihrem Stöhnen geweckt worden waren. «Nun nimm schon», sagte die Frau. «Vielleicht gibst du dann Ruhe. Dein Gejammer hält ja kein Mensch aus.»
    Cäcilia schüttelte den Kopf. Das fehlte noch, Kindern etwas wegzuessen.
    «Brauchst dir wegen der Kleinen keine Gedanken zu machen. Wir hatten heute ausnahmsweise genug zu futtern. Der Küchenmagd von so einem reichen Fetthändler ist das Brot einfach aus dem Korb gefallen, dazu noch ein Stück fette Blutwurst.» Sie grinste. «Tja, das kann passieren, wenn man vor lauter Schwatzen nicht achtgibt.» Die Frau zog ihre schmutzige Haube aus der Stirn; vielleicht, damit Cäcilia sie anschauen konnte und Zutrauen fasste. Zögerlich nahm sie den Kanten Brot und biss hinein. Er war trocken und klebte an ihrem Gaumen wie geriebener Sand, war aber wenigstens nahrhaft. Cäcilia verschwendete keinen Gedanken daran, dass das Brot gestohlen war. Die raue Decke über ihren Knien war es ja auch.
    «Na also», flüsterte die junge Diebin zufrieden. «Wirst sehen, dass es dir gleich wieder besser geht. Wenn auch nicht so gut wie der dort drüben!» Sie wies mit ihrem spitzen Kinn auf die Würfelrunde, die grölend einen Sieger der Partie kürte. Die Pockennarbige klatschte in die Hände und hob ihre Röcke, um dem Gewinner als Vorgeschmack einen kurzen Blick auf ihre dicken Waden zu gewähren.
    Cäcilia fand es keineswegs erstrebenswert, mit der Hure zu tauschen. Mehr als ein paar Bissen Brot würde die für ihre Dienste auch nicht bekommen. Falls sie Pech hatte, würden die Männer so oft über sie herfallen, bis sie entkräftet in einer Ecke lag, und ihr die Entlohnung schuldig bleiben.
    «Ich bin übrigens Dotteres», stellte sich die junge Frau vor. «Mein Kleiner heißt Balthasar, weil ich ihn an einem Dreikönigstag zur Welt gebracht habe. Leider bekam ich zu seiner Geburt weder Gold noch Myrrhe und Weihrauch, sondern wurde von meiner Herrschaft aus dem Haus gepeitscht. Es waren Leute von niederem Adel, aber großem Ehrgeiz, und mein kleiner Balthasar sah dem Sohn der Familie zu ähnlich. Egal. Wir nennen ihn den kleinen König, manchmal benimmt er sich auch so. Liegt wohl im Blut. Damit muss ich leben. Das Mädchen ist mir vor ein paar Monaten bei Haarlem zugelaufen. Sie ist stumm wie ein Fisch. Ich rufe sie Willemina, nach dem Schweiger.»
    Cäcilia nickte flüchtig. Die Frau sprach Flämisch, aber an der Art, wie sie bestimmte Wörter betonte, hörte Cäcilia heraus, dass sie nicht aus den südlichen Niederlanden stammte. Wie es schien, hielt sie es mit den Rebellen aus dem holländischen Norden und verehrte deren Anführer, Prinz Wilhelm von Oranien. Was sie ausgerechnet nach Brüssel verschlug, wollte sie Cäcilia nicht sagen. Vielleicht hatte der Hunger sie und die Kinder in den Süden geführt. Die Landstraßen waren dieser Tage voll mit Flüchtlingen. Manche flohen vor den Spaniern, andere vor dem Hunger. War der Magen leer, fragte sowieso niemand lange nach Grenzen. Als habe die Frau Cäcilias Gedanken erraten, sagte sie: «Bin mit dem Heer des Schweigers von einem Schlachtfeld zum nächsten gezogen. Sogar in Den Briel war ich, als die Rebellenflotte es den Spaniern abjagte. Das war ein Spaß, kann ich dir sagen. Aber die Zeit unter den Soldaten hat sich für mich nicht bezahlt gemacht. Die Kriegsknechte des Oraniers sind ebenso raue Gesellen wie die Truppen des Königs. Sie haben mich ausgenutzt, bis ich nichts mehr hatte.»
    Cäcilia wusste, wovon die Diebin sprach. Auch ihr hatte der Krieg alles genommen. Wie ein Ölbaumzweig war sie von einer Woge des Schicksals zur nächsten getrieben worden. Immer weiter, fort von dem, was ihr einst lieb und teuer gewesen war: ihre Familie und ihr Glaube.
    Eine neue Schmerzwelle zwang Cäcilia, die Zähne zusammenzubeißen. Sie hielt es nicht länger auf dem harten Lehmboden aus. Sie musste aufstehen und vor die Tür treten, um ihre Notdurft zu verrichten. Dotteres half ihr beim Aufstehen.
    «Meine Sachen …», murmelte Cäcilia müde, während sie sich unsicher auf den

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