Die Stadt der schwarzen Schwestern
Äbtissin in Hertoginnedal ihnen über die Nonne, die Gärten und Kräuter über alles liebte, erzählt hatte. Sie befand sich mit dem Vermächtnis der schwarzen Schwestern auf der Flucht. Vielleicht war der Gedanke weit hergeholt, doch er ließ sich nicht vertreiben. «Könnte sie vielleicht Eure Mutter sein?»
Don Luis hob ratlos die Hände. «In den Urkunden meines Vaters, die mir nach seinem Tod ausgehändigt wurden, taucht der Name Doña Juana de Reon auf. Hier in Flandern wurde sie vermutlich Johanna gerufen. Cäcilia hat sie sich meines Wissens nie genannt.»
«Wenn sie sich den schwarzen Schwestern anschloss, ist es aber naheliegend, dass sie sich einen Ordensnamen auswählte. Warum nicht Cäcilia? Der Hinweis auf diese Frau und ihr Buch ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben.»
Don Luis nickte. Stumm deutete er nun auf ein schmales Haus, vor dem ein Tisch und eine Pferdetränke standen. Auf sein Klopfen kam der Besitzer des Hauses selbst an die Tür. Er war alt. Seine Hände waren von bräunlicher Farbe und rissig wie das Leder, in das er seine Bücher band, der Körper steckte in einem langen Mantel aus schwarzer Wolle, dessen Saum beim Gehen über den Fußboden schleifte. Irritiert schob er bei Griets Anblick seine dicken Brillengläser die Nase hinauf, dann begegnete er ihr und Don Luis mit der Höflichkeit eines Kaufmanns, der ein Geschäft witterte.
«Wenn Ihr seltene Bücher sucht, seid Ihr bei Paulus Dorotheus richtig.» Der Mann lispelte beim Sprechen, was auf den Verlust einiger Zähne zurückzuführen war. «Folgt mir bitte nach hinten, wo meine guten Stücke lagern. Ich möchte mich nicht loben, aber meine Bibliothek kann es mit der der Universität von Löwen aufnehmen. Ganz gleich, ob Ihr etwas über die alchemistische Praxis sucht oder ein medizinisches Fachbuch, bei mir werdet Ihr es finden.»
Der alte Mann durchquerte trotz seiner schwachen Augen den engen, dämmrigen Korridor mit einer Geschwindigkeit, die Griet staunen ließ. Zudem musste sie zugeben, dass sie nie zuvor so viele Bücher an einem Ort gesehen hatte. Wohin sie blickte, fand sie dicke Wälzer und sorgfältig gebündelte Druckschriften. An den Wänden und in den Ecken waren sie zu Türmen gestapelt, Truhen und Kisten vermochten die Menge kaum zu fassen. Manche Bücher waren in der Mitte aufgeschlagen, ihre Seiten wurden von einem Lufthauch bewegt, als würde ein unsichtbarer Geist darin lesen. Einige besonders umfangreiche Werke waren angekettet wie Hofhunde.
Paulus Dorotheus führte Griet und Don Luis in sein Studierzimmer, einen Raum in Form eines Hufeisens, der von einigen Kerzen in einen warmen, gelblichen Schein getaucht wurde. Dort, rund um das schwere Pult, das dem Katheder einer Universität nachempfunden war, schlug das Herz des Bücherhauses. Regale, bis zur Decke mit Schriften vollgestopft, daneben ein halbes Dutzend Tische, beladen mit Urkunden, Karten und Skizzen. Inmitten der Unordnung stand ein Schaukelstuhl, abgegriffen zwar, doch an den Lehnen mit zierlichen Schnitzereien versehen, in den sich der alte Mann nun fallen ließ. Über seinem Kopf hing ein eiserner Vogelkäfig. Darin wetzte ein Star seinen Schnabel an den Gitterstäben. Von Zeit zu Zeit stieß das Tier schrille Töne aus.
«Eine erbauliche Bilderschrift zur Unterhaltung für die Dame?» Dorotheus hob abwartend die Augenbrauen, erst als eine Antwort ausblieb, fügte er hinzu: «Ich habe erst vor wenigen Tagen ein Buch mit brillanten Pflanzenzeichnungen angekauft. Es enthält kolorierte Skizzen eines Krauts, das die wilden Völker in der Neuen Welt verwenden. Ob Ihr es mir glaubt oder nicht: Sie zünden das Gewächs an und stecken es sich in den Mund, bis der Teufel rauchend aus ihnen ausfährt. Gott ist mein Zeuge, dass ich nicht lüge. Der Bericht stammt von einem spanischen Mönch aus einem Kloster in der Nähe von …» Er hielt inne, um in den Tiefen seines Gedächtnisses nach einem Namen zu suchen, den er aber nicht fand. Er gab es auf. «Ach, was kümmern ein junges Ding schaurige Geschichten von rauchenden Wilden? Wo der alte Dorotheus doch eine schöne Auswahl an Gebet- und Stundenbüchern führt. Zu meinen Kunden zählen die fromme Gräfin de Rochamps aus Namur und Seine Exzellenz der Herzog von … Ach verflixt, ich kann mir einfach keine Namen merken. Aber was macht das schon? Dafür kenne ich die Titel meiner Bücher in lateinischer, griechischer und niederländischer Sprache. Mein Verstand ist treuer als die unseligen Augen.
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