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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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gewesen wäre. Den Wandteppichen hatte sie ihr Geheimnis anvertraut. Sie hatte Schmerz und Kummer in schillernden Seidenfäden verewigt, ihn ihren Angehörigen jedoch vorenthalten.
    «Jetzt seid erst einmal Ihr dran», entschied Griet mit fester Stimme. Sie hatten den großen Marktplatz von Brüssel erreicht, auf dem es bereits lebhaft zuging. Hier, im Schatten der prächtigsten Patrizierhäuser, die Griet je gesehen hatte, wurde mit allem gehandelt, was einen Namen hatte. Duftende Gewürze aus Indien und dem fernen Asien fanden hier ebenso ihre Käufer wie starkes, dunkles Bier aus Brabant, Wein aus Frankreich und glänzender Stahl aus Toledo. Geschickte Hut-, Fächer- und Handschuhmacher buhlten mit lombardischen und flämischen Garnhändlern um Kundschaft. Es gab Dutzende von Galanteriewarenhändlern, die Glasspiegel mit verspielten Rahmen, Pulverflaschen aus Zinn und bemalte Ofenkacheln auf ihren hölzernen Laden anboten. Gleich daneben schnatterten Gänse, Enten und Hühner um die Wette. Bauernjungen holten sie aus ihren Käfigen, um sie anzupreisen. Knochenhauer zerteilten mit Hackbeilen Schweinehälften auf ihren Schragen, und vor dem mit Winterblumen geschmückten Marktkreuz spielten Musikanten auf. Es wehte ein starker Wind, der die Buden ächzen und die Zeltplanen flattern ließ, aber die Brüsseler gaben sich dem Markttag mit sichtlichem Vergnügen hin. Don Luis mied das stärkste Gedränge und bog vor der Kathedrale St. Michael in eine ruhigere Seitenstraße ein, in der die Buchhändler und Kartenmaler ihrem Gewerbe nachgingen.
    «Was wollt Ihr wissen?»
    «Nun, Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, wie es dazu kommen konnte, dass Ihr Eure Mutter aus den Augen verloren habt.»
    Don Luis seufzte, doch er spürte, dass er Griet endlich etwas über sich erzählen musste. «Ich bin, wenn Ihr so wollt, das Ergebnis eines Bundes zwischen Spanien und Flandern», begann er schließlich. «Nachdem Kaiser Karl V. 1555 hier in Brüssel abdankte, war ihm und seinem Nachfolger König Philipp klar, dass Schwierigkeiten in den niederländischen Provinzen nicht lange ausbleiben würden. Die alten Handelsstädte Amsterdam, Antwerpen, Brügge und Gent waren viel zu reich und zu selbstbewusst, um eine Beschneidung ihrer alten Privilegien kampflos hinzunehmen. König Philipp kam daher auf die Idee, Ehen zwischen spanischen Hidalgos und niederländischen Kaufmannstöchtern zu arrangieren. Es ist zwar nicht unüblich, dass Eltern bestimmen, wen ihre Kinder heiraten sollen, doch in diesem Falle waren es der König und seine Minister, die über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden, wer mit wem vor den Traualtar zu treten habe. Das geschah, wie Ihr Euch denken könnt, nicht auf freiwilliger Basis. Es gab Streit und Tränen. Viele spanische Edelleute fühlten sich in ihrem Stolz verletzt und ließen das die ihnen aufgezwungenen Ehefrauen spüren. Es kränkte sie, dass die Kinder aus den mit königlicher Gunst geschmiedeten Ehen nicht nur nach spanischer Tradition erzogen wurden, sondern auch die Sprache und Lebensweise ihrer flämischen Mütter kennenlernen sollten.»
    «Eure Eltern scheinen den Wunsch des Königs sehr gewissenhaft erfüllt haben», meinte Griet trocken. «Ihr seid ein spanischer Ritter, seht aber – bitte verzeiht – aus wie ein Brabanter Bierbrauer.»
    Don Luis zog eine Grimasse. «Die Ehe meiner Eltern stand leider unter keinem guten Stern. Als es für mich Zeit wurde, nach Spanien zu gehen, um in Madrid erzogen zu werden, folgte Mutter uns zwar, aber wir ahnten, dass sie unter der heißen Sonne Kastiliens nicht würde leben können. Sie und mein Vater waren zu verschieden. Hinzu kam, dass sie anfing, sich mit religiösen Schriften zu befassen, die gefährlich waren. Sie las ganze Nächte hindurch und glaubte schließlich gar, Erscheinungen zu haben wie die heilige Hildegard von Bingen. Vater war entsetzt, und mir war es peinlich, dass er sie immer wieder bei Hofe entschuldigen oder zu Hause verstecken musste. Die religiöse Besessenheit meiner Mutter erfüllte mich als Junge, der nichts weiter wollte, als seine Aufträge als Page zu erfüllen, und der reiten, fechten und auf Festen tanzen wollte, mit Unbehagen. Mein Vater befürchtete, dass Mutter den Namen de Reon, der in Madrid hohes Ansehen genießt, in den Schmutz ziehen könnte. Sie war eine Ausländerin, derb und aufmüpfig und nicht einmal von Adel. Die Granden des Reiches sahen auf uns herab und spotteten insgeheim, obwohl sie wussten,

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