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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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dass mein Vater nur unter Zwang die Ehe mit einer Krämerstochter aus Antwerpen geschlossen hatte. Damals war jeder Edle erleichtert, an dem dieser Kelch vorüberging.»
    Don Luis schwieg einen Moment. Die Gasse, durch die er Griets Karren lenkte, wurde immer schmaler und finsterer. Die Häuser in diesem Viertel wirkten ärmlich und waren teilweise verfallen. Die Mauern wuchsen direkt neben ihnen senkrecht in die Höhe, nur ein winziges Stück Himmel war über ihren Köpfen zu sehen. Hier gab es keine Auslagen mit Büchern mehr, keine quer über die Straße gespannten Schnüre, an denen Land- und Seekarten hingen. Die verwinkelten Dächer besaßen keine roten Schindeln mehr, sondern waren mit Stroh bedeckt. Viele Fenster und Türen waren mit Brettern zugenagelt.
    «Für ein Kind ist es gewiss schwierig, immer dazwischenzustehen», kam Griet auf Don Luis’ Bericht zurück. Sie hörte ihm gerne zu. Es war überhaupt das erste Mal, dass er etwas über sein Leben preisgab.
    Don Luis lachte bitter. «Oh, ich stand nicht zwischen Mutter und Vater. Damals glaubte ich, meine Wahl getroffen zu haben, eine gute Wahl. Ich war Spanier, die Niederlande waren mir inzwischen fremder als die Neue Welt. Als Mutter nach Antwerpen zurückging, wünschte ich ihr am Hafen noch mit formvollendeter Höflichkeit eine gute Reise. Insgeheim hoffte ich nur, sie würde sich in ihrer Heimat fangen und nicht irgendwelchen Ketzern auf den Leim gehen. Schließlich war sie noch immer die Gemahlin des achtbaren Don Alfonso de Reon.»
    «Habt Ihr danach noch etwas von ihr gehört?»
    Don Luis nickte; sein Blick wurde starr. Er zügelte das Pferd im Gespann, und Griet fragte sich, ob er anhielt, weil sie angekommen waren oder weil die Erinnerung ihm zusetzte. Sie hätte das gut verstanden. Plötzlich fühlte sie sich ihm so nah, dass sie am liebsten seine Hand genommen hätte. Aber etwas in ihr hielt sie davon zurück.
    «Vor etwa sechs Jahren erreichte meinen Vater ein Lebenszeichen von ihr. Es kam aus dem belagerten Antwerpen. Ihr wisst ja, dass die Stadt damals nicht so glimpflich davonkam wie Oudenaarde. Die Soldaten, die mal wieder keinen Sold bekommen hatten, plünderten nach Einnahme der Stadt tagelang. Sie richteten unter der Bevölkerung ein schreckliches Blutbad an, dem nur wenige entkamen. Männer, Frauen und Kinder wurden niedergemetzelt oder einfach in die Schelde geworfen, wo sie ertranken. Zu Recht wurden diese finsteren Tage des Schreckens später spanische Raserei genannt.»
    Griet erinnerte sich noch gut an den Tag, als Willem kreidebleich in die Weberei gelaufen kam und ihr erzählte, was in Antwerpen geschehen war. Damals hatte er schon davon gesprochen, das Land zu verlassen und sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Aber sie hatte ihn beschwichtigt und überredet, in Oudenaarde zu bleiben. «Eure Mutter … kam sie mit dem Leben davon?»
    «Sie bat um unsere Hilfe», flüsterte Don Luis. «Sie wollte zurück nach Spanien, zusammen mit ihren betagten Eltern. Mein Vater war damals schon todkrank, er konnte nicht nach Flandern reisen, um sie zu holen. Alles, was in seiner Macht lag, war, ihr mit Hilfe des Königs Papiere zu beschaffen, die sie als Gemahlin eines spanischen Granden auswiesen und vor jeglicher Heimsuchung beschützt hätten. Mein Vater sandte einen Kurier nach Córdoba, wo ich damals lebte. Ich solle mich schleunigst auf den Weg machen …» Er atmete schwer aus. «Der Bote musste mich tagelang suchen, weil ich es mir auf dem entlegenen Landgut eines Freundes gutgehen ließ, anstatt den letzten Wunsch meines Vaters zu erfüllen. Als ich schließlich in Flandern ankam, lag Antwerpen schon in Schutt und Asche. Meine Großeltern hatten die Raserei nicht überlebt, und von meiner Mutter fehlt seither jede Spur.»
    «Aber das ist nicht Eure Schuld, Don Luis», sagte Griet. «Vermutlich wärt Ihr in jedem Fall zu spät gekommen, um Eure Mutter noch aus der Stadt herauszuschaffen.»
    «Mein Vater sah das ganz anders. Er muss sie doch geliebt haben, denn auch ihn plagten Schuldgefühle. Er rief seinen Beichtvater, der ihm die Sterbesakramente spendete, mir aber wegen meines Versagens eine Buße auferlegte. Diese besagt, dass ich nicht nur meine Mutter und meine flämischen Wurzeln wiederfinden, sondern auch noch im Dienst einer frommen Fürstin alles tun muss, um einer ganz bestimmten Familie in Flandern ein ähnliches Schicksal zu ersparen wie das meiner Mutter.»
    «Diese Cäcilia …» Griet fiel ein, was die

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