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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Blick mit Don Luis. So also waren die schwarzen Schwestern mit dem Buch des Aufrechten in Berührung gekommen. In ihrem eigenen Kloster, denn es lag auf der Hand, dass sie es gewesen waren, die den Pilger gepflegt hatten. Bernhild musste damals miterlebt haben, auf welche Weise der fremde Pilger geheilt worden war. Vermutlich hatte sie seine Rettung wirklich als göttliches Wunder angesehen. Hatte sie unter dem Eindruck der unglaublichen Heilung beschlossen, sich die Schrift anzueignen?
    «Ist der Mann mit dem Buch wieder aus Oudenaarde verschwunden?», fragte Don Luis.
    Paulus Dorotheus dachte angestrengt nach. Mit fliegenden Fingern schob er die speckige Lederkappe zurück, unter der dünne weiße Haarsträhnen hervorquollen. «Nein, das glaube ich nicht. Soviel ich weiß, blieb er in Oudenaarde und bat die Nonnen, die ihn aufgenommen hatten, sein Buch für ihn aufzuheben. Damals befanden sich doch die ganzen Niederlande im Aufruhr. Die Inquisition wütete unter den Lutheranern und Calvinisten, bis der Adel eingriff und Margarethe von Parma ihnen Zugeständnisse machte. Hätte man im Haus eines Pilgers eine Schrift aus Jerusalem gefunden, hätte ihn das nur verdächtig gemacht. Die Schwestern dagegen waren über jeden Verdacht erhaben.»
    «Aber dann muss etwas passiert sein, was ihre heimliche Übereinkunft beendete», sagte Don Luis leise.
    Griet pflichtete ihm bei. «Der Bildersturm», fiel ihr ein. «Die schwarzen Schwestern flohen Hals über Kopf, als ihr Haus in der Wijngaardstraat geplündert wurde, und das Buch nahmen sie mit, ohne den wahren Besitzer um Erlaubnis zu fragen. Sie verschwanden einfach von der Bildfläche. Der Pilger muss darüber sehr aufgebracht gewesen sein. Gewiss hatte er nicht im Traum damit gerechnet, dass ausgerechnet Bernhild ihm sein Eigentum vorenthalten würde. Aber sie hatte inzwischen den Wert der Schrift erkannt, sie sogar zu übersetzen begonnen und dachte nicht daran, sie wieder herzugeben. Sie nahm alles in Kauf, um sie zu schützen, sogar das Leben ihrer Mitschwestern.»
    Don Luis pflichtete ihr bei. «Bernhild geriet bei dem Gedanken, zurückzukehren, in Panik. Ihr war klar, dass es in Oudenaarde noch jemanden gab, der auf sie wartete, weil er eine Rechnung mit ihr begleichen wollte. Den Pilger. Der Mann war auf Rache aus.» Don Luis warf dem alten Dorotheus, der wieder in seinem Stuhl zu schaukeln begonnen hatte, einen strengen Blick zu.
    «Ihr braucht mich gar nicht so anzuschauen, Herr», giftete der Alte verdrießlich. «Da hat dieser Narr von Jakobus mir ja etwas Schönes eingebrockt. Dabei weiß ich von Eurer Schrift und diesen verrückten Nonnen nicht mehr als ein Säugling vom Dichten eines Sonetts.»
    Griet glaubte ihm. Dorotheus war ein zerstreuter Sonderling, der Pergament, Tinte und Druckerschwärze zum Leben brauchte wie andere Menschen Luft und Sonnenlicht. Aber er machte keinen durchtriebenen Eindruck. Dennoch bestand der Hauch einer Hoffnung, dass Cäcilia das Haus des alten Mannes noch aufsuchen würde, um Rat einzuholen. Ein gewisser Ruf als Kenner alter Schriften ging ihm schließlich in Brüssel voraus.
    «Wer könnte nur dieser verflixte Pilger gewesen sein? Wenn wir das herausfinden, können wir dem Statthalter zumindest einen Namen nennen.» Er warf Griet einen forschenden Blick zu. «Ich komme nicht aus Oudenaarde, daher kenne ich die meisten Menschen nicht, die dort leben. Ich habe keine Ahnung, wer wie lange in der Stadt ansässig ist und ob je einer nach Jerusalem gepilgert ist.»
    Auch für Griet, die seit ihrer Heirat in Oudenaarde lebte, war es nicht möglich, diese Frage zu beantworten. Dennoch überlegte sie angestrengt. Hatten Willem oder seine Eltern je von einem Mann gesprochen, der eine Pilgerfahrt unternommen hatte? Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. In Gedanken ging sie alle Nachbarn und Bekannten durch, musste sich aber bald geschlagen geben. Während ihre Schwiegermutter Hanna nahezu jedermann in der Stadt gekannt hatte, hatte sie selbst ein zurückgezogenes Leben geführt und nur Willem zuliebe hin und wieder an Festlichkeiten im Tanzhaus oder dem Zunftgebäude der Teppichwirker teilgenommen.
    «War Pater Jakobus jemals auf Reisen?», fragte sie schließlich.
    «Pater Jakobus?» Entsetzt riss Don Luis die Augen auf. «Das meint Ihr nicht im Ernst, meine Liebe! Er ist Priester, kein Meuchelmörder.»
    Paulus Dorotheus lachte. «Das eine muss das andere ja nicht ausschließen, oder? Der alte Knabe war einmal gut

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