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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Ahnung. Mama spricht nicht so gern darüber. Über meinen Vater auch nicht …» Er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. «Ich weiß aber, dass der ein Edelmann war, der sogar König Philipp kannte. Er wollte uns nicht haben, der Mistkerl, weil Mama nur ein einfaches Dienstmädchen war. Hätte er mich anerkannt, so wie der alte Kaiser Karl seine Tochter, die heute Generalstatthalterin ist, würde ich heute am Großen Markt wohnen und jeden Tag Brathähnchen essen.»
    Griet unterdrückte ein Lächeln. Der kleine Bursche mochte ein Herumtreiber sein, aber im Geschichtenerzählen machte ihm so leicht keiner etwas vor. Ob er geschwindelt hatte, was seine Herkunft betraf? Sie beschloss, den kecken Burschen nicht zu beleidigen, indem sie ihn auslachte, so lächerlich seine Behauptung, Sohn eines Edelmannes zu sein, auch klang. Bettler legten sich oft die haarsträubendsten Geschichten zu, um Mitgefühl zu bekommen.
    Mit ernster Miene sagte sie schließlich: «Nun, kleiner König, lass hören, ob deine Nachricht ein Brathähnchen wert ist.»
    «Der Buchhändler Dorotheus schickt mich zu Euch», sprudelte es aus dem Jungen heraus. «Er ruft mich manchmal zu sich, wenn er Besorgungen zu machen hat. Nur mich, die anderen Jungen jagt er davon. Ich habe noch nie gesehen, dass er sein Haus mit den vielen Büchern verlassen hätte. Wahrscheinlich plagt ihn die Angst, jemand könnte ihm was klauen, weil er nicht mehr gut sieht. Nicht mal mit dem Ding auf seiner Nase. Er hat einen Vogel, der kreischt wie ein Mädchen.»
    «Die Nachricht, mein Junge», erinnerte ihn Don Luis. «Hat Dorotheus dir einen Brief für uns mitgegeben?»
    «Wozu das?» Der Junge gab einen verächtlichen Laut von sich. «Briefe sind was für Greise, die nicht mehr hell genug im Kopf sind, sich etwas zu merken. Ich habe ein gutes Gedächtnis und erinnere mich an jedes Wort, das der Alte zu mir gesagt hat.»
    «Vor allem hast du ein Talent dafür, uns auf die Folter zu spannen», sagte Griet. «Nun, heraus mit der Sprache. Was teilt Dorotheus uns mit?»
    «Ich soll bestellen, dass Ihr Glück habt, weil zwei Leute bei ihm waren. Gleich heute, in den frühen Morgenstunden. Ein Mann und eine Frau waren es. Sie haben ihm ein Buch gezeigt und nach einem Übersetzer gefragt, weil es in einer fremden Schrift geschrieben wurde. Die beiden wollten am späten Nachmittag wiederkommen, um sich die Antwort des Alten abzuholen. Wenn Ihr Euch beeilt, werdet Ihr sie noch bei ihm antreffen.»
    Griets Augen blitzten. Endlich eine Spur. Dann hatte sich das Abwarten doch gelohnt. «Das könnte sie sein», rief sie aufgeregt. «Meint Ihr nicht auch, Don Luis?»
    «Keine Ahnung. Und wer soll der Mann sein, der bei ihr ist? Doch wohl kaum der Kerl, vor dem sie auf der Flucht ist. Es sei denn, sie würde mit ihm unter einer Decke stecken.» Don Luis blickte aus dem Fenster und verzog das Gesicht. Ob ihm die Vorstellung nicht behagte, gleich wieder hinaus in die Kälte zu müssen, oder ob er an seine Mutter dachte, behielt er für sich. Griet konnte nachvollziehen, was in ihm vorging. Inzwischen zweifelte sie nicht mehr daran, dass die geheimnisvolle Hüterin des Buches und Don Luis’ verschollene Mutter ein und dieselbe Person waren. Wenn sie Glück hatten, würden sie sie in weniger als einer Stunde sehen. Sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren.
    Griet ging vor dem kleinen König in die Knie und tätschelte ihm mütterlich die Hand. «Hast du die Leute auch gesehen? Weißt du, ob die Frau Angst vor ihrem Begleiter hatte?»
    «Angst, die? Nie im Leben hat die Angst!»
    «Nun macht schon, wir müssen aufbrechen», drängelte Don Luis, bevor Griet noch mehr fragen konnte. Hatte er sich eben noch nachdenklich gegeben, so konnte es ihm plötzlich nicht schnell genug gehen. Eilig stürzte er aus der Kammer und polterte die Treppe zum Schankraum hinunter, wo er bei der Wirtin ein gutgebratenes Hähnchen, Dünnbier und eine Schüssel gezuckerten Milchbrei für den Boten bestellte.
    Lächelnd zwängte sich Griet in ihre feuchten Stiefel. So voller Tatendrang gefiel ihr Don Luis schon besser.
    Sie waren erst wenige Schritte stadteinwärts gegangen, da bemerkten sie, dass der kleine König ihnen hinterherlief.
    «Warum bleibst du nicht im warmen Gasthaus, bis wir zurückkommen?», fragte Don Luis. «Hast du Angst, dass wir uns aus dem Staub machen?»
    Der Bursche gab sich beleidigt. «Das Brathuhn kann warten. Mein Auftrag lautet, Euch zum Buchhändler zu bringen, und

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