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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Kinder gehegt hatte. Ein grausiges Spektakel. Auch die beladenen Tische, auf denen Griet und Don Luis Stapel von Pergamenten und Schriftstücken gesehen hatten, leisteten den Flammen keinen Widerstand. Über dem geschnitzten Stuhl, auf dem es sich Dorotheus bei ihrem Besuch bequem gemacht hatte, schaukelte der Vogelkäfig hin und her. Halb wahnsinnig vor Angst, flatterte der Star auf und ab und warf sich dabei immer wieder gegen das Gitter, um nach einem Weg in die Freiheit zu suchen. Seine hellen Schreie hörten sich inmitten des unheilvollen Knisterns der Flammen fast menschlich an. Dagegen erinnerte das Geheul, das aus einem Winkel hinter dem Lehnstuhl kam, an ein in eine Falle geratenes Tier.
    Es war Paulus Dorotheus. Griet erkannte seinen langen blauen Mantel und wunderte sich, dass der alte Mann keine Anstalten machte zu fliehen. Er stand vor dem Fenster, durch das wie zum Spott der Schneeregen in die brennende Stube wirbelte. Der Buchhändler hatte einige seiner Kisten ans Fenster geschoben, denen er wahllos Bücher entnahm, mit einem Messer die Seiten heraustrennte und diese dann aus dem Fenster warf. Draußen segelten sie einträchtig neben den weißen Flocken auf das Pflaster hinunter.
    Mit zwei Sätzen war Don Luis bei ihm und bedeutete ihm, mit ihnen zu fliehen.
    «Ich bleibe hier», rief der alte Mann trotzig. Das Feuer schien er überhaupt nicht wahrzunehmen. Er bückte sich nach dem nächsten Buch, doch der starre Blick, mit dem er seine gedruckten Schätze zerteilte, verriet Griet, dass der Mann einen Schock erlitten hatte.
    Hinter ihr brach krachend eines der hohen Wandregale zusammen. Griet schrie erstickt auf, als sie bemerkte, wie der Saum ihres Kleides plötzlich Feuer fing. Don Luis warf seinen Umhang auf Griets Füße und schaffte es, die Flammen zu ersticken. Sie mussten endlich hinaus. Auch nur einen Moment länger zu verweilen bedeutete ihren sicheren Tod. Über Griets Kopf begann das Gebälk zu knirschen.
    «Durch die Tür kommen wir nicht mehr hinaus», rief Don Luis. Seiner Äußerung folgte ein Fluch auf Spanisch, der Griet zu verstehen gab, wie gefährlich die Lage für sie geworden war. Das umgestürzte Regal versperrte ihnen den Weg, den sie gekommen waren. Griet blickte sich um. Es blieb nur das Fenster als Ausweg.
    «Meine Bücher», rief Paulus Dorotheus außer sich. Er kroch quer über den Fußboden auf das brennende Regal zu, wobei er um ein Haar von dem zweiten Bücherregal erschlagen worden wäre, das nur wenige Schritte von ihm entfernt in sich zusammenfiel. Die umherfliegenden Funken, der Ascheregen und das berstende Holz schienen ihn endlich aus seinem lethargischen Zustand zu holen. «Ich verdammter Narr habe ihnen auch noch eigenhändig die Tür geöffnet.»
    Don Luis packte ihn am Genick und zog ihn auf die Füße. Er wollte den alten Mann nicht verletzen, selbst aber auch nicht qualvoll ersticken, nur weil der Buchhändler sich bockig zeigte. «Die Frau, die Euch besucht hat? Hat sie das Feuer gelegt?»
    Dorotheus schüttelte wild hustend den Kopf. «Nein, das war der Bursche, der kurz nach ihr an meine Tür klopfte.» Er rang röchelnd nach Atem. «Ein … Spanier. Er drang in mein Studierzimmer ein und bedrohte uns. Er …» Wieder wurde der Alte von einem Hustenreiz geschüttelt. «Er verlangte … das Buch, aber die Frau weigerte sich, es ihm zu überlassen!»
    Don Luis schleppte Dorotheus zum Fenster, was nicht einfach war, denn der Buchhändler wog mehr, als sein ausgemergelter Körper andeutete. Die Öffnung, durch die er ihn zwängte, war auch nicht so breit, wie er angenommen hatte, aber es würde gelingen. Es musste einfach gelingen. Er hoffte nur, dass sie sich nicht den Hals brachen, wenn sie hinuntersprangen.
    «Was macht Ihr denn da?», keuchte er, als er sah, wie Griet durch den Raum auf den Stuhl zu wankte.
    «Ich hole nur den Vogel», stieß sie hervor. Mit letzter Kraft nahm sie den Käfig vom Haken und kam mit ihm zum Fenster zurück, wo sie erst ein paarmal durchatmen musste, bevor sie in der Lage war, das Türchen aufzudrücken und das schreiende Tier in die Dunkelheit zu entlassen.
    «Ich kann nicht springen», sagte sie, nachdem der alte Buchhändler sich durch die Öffnung gezwängt hatte. Sie schüttelte den Kopf und wich zurück, als sie hinunterblickte, wo einige Frauen Dorotheus auf die Beine halfen. Don Luis zuckte zusammen. «Was soll das heißen?», zischte er. «Seid Ihr verrückt geworden? Santa Maria , nun springt schon, so tief geht

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