Die Stadt der schwarzen Schwestern
zurück ins Haus. Dann rannte sie wieder zu dem Stübchen neben dem Brauhaus, in dem das Mädchen schlief. Obwohl es darin so kalt war, dass man den eigenen Atem sah, schwitzte die Frau aus allen Poren.
«Rasch, du musst aufstehen!» Sie rüttelte Pamela grob, bis diese die Augen aufschlug. «Das habe ich nun von meiner Gutmütigkeit. Da nehme ich dich mitten in der Nacht auf wie eine streunende Katze, und du dankst es mir, indem du uns Ärger machst. Nun mach schon!» Mit einer Handbewegung zog Uta ihrem Gast die Wolldecke von den Beinen und klatschte ihr mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Ihre Miene war hart, als sie Pamela befahl, in den grauen Leinenkittel zu schlüpfen, den sie auf einen Schemel neben das Bett gelegt hatte. Pamelas eigene Kleidung, zerrissen und voller Blut, hatte eine Magd voreilig in den Ofen gestopft. Pamela tat wie ihr geheißen.
Sie war kaum angezogen, da trat auch schon ein städtischer Büttel in den Raum, der sie mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck musterte. Der Mann wurde von zwei spanischen Soldaten begleitet. Diese blieben zu beiden Seiten des Ausgangs stehen.
«Jungfer Pamela, Tochter des verstorbenen Vitus Osterlamm, ehemals Bürgermeister von Oudenaarde?», erkundigte sich der Büttel mit näselnder Stimme. «Folgt mir!»
Obwohl Kopf und Beine sich schwer wie ein Stein anfühlten, gehorchte Pamela. Dass man sie zu ihrem schrecklichen Erlebnis befragen wollte, lag auf der Hand. Noch in der Nacht hatte sie Uta alles über den Mord an ihren Brüdern erzählt und mit ihr gemeinsam Gott für ihre wundersame Rettung aus dem Keller gedankt, dann war sie erschöpft zusammengebrochen. Hatten die Soldaten den Vermummten schon gestellt? Weit konnte er in dem Schneetreiben der vergangenen Nacht nicht gekommen sein. Er hatte sogar ihre Verfolgung aufgegeben. Die abweisende Miene der alten Uta verunsicherte Pamela allerdings. Die Begine sprach nicht mehr mit ihr, vermied es gar, sie anzusehen. Als der Büttel sie über die Türschwelle ins Freie schob, starrte sie demonstrativ auf die hölzerne Figur der heiligen Agnes, die auf einem Balken über der Tür stand, und bekreuzigte sich mehrmals, als habe sie während der letzten Stunde ein Ungeheuer beherbergt. Pamela versuchte die Frau anzulächeln, doch ihr Gruß blieb unbeantwortet.
Zu Pamelas Überraschung erwartete sie auf dem Beginenhof der Statthalter. Dass Farnese persönlich erschienen war, um sich um sie zu kümmern, wertete sie als gutes Zeichen. Er unterhielt sich mit einem grauhaarigen Mann, dessen Anblick Pamela ebenfalls seit ihrer Kinderzeit vertraut war. Es war der Arzt, der auf der anderen Seite der Schelde wohnte. In der Hand, und das verblüffte Pamela, hielt der Mann ein zusammengeknülltes Kleidungsstück aus teurer brauner Wolle, in dem sie sofort ihren eigenen Umhang wiedererkannte. Mit neuerlichem Entsetzen bemerkte sie die Blutflecke darauf. Ja, das war ihr Umhang, den sie auf ihrer Flucht verloren hatte.
«Euer Mantel?», fragte der Statthalter. Es klang streng. Wollte der Mann sie etwa gleich hier in der Kälte verhören?
Pamela nickte verwirrt. «Ich ließ ihn im Keller der Teppichweberei zurück. Der Mann …»
«Nachdem Ihr Eure Brüder, Adam und Coen Osterlamm, getötet hattet», wurde sie brüsk unterbrochen.
Pamela riss die Augen auf. Was hatte der Statthalter da gesagt? Sie musste sich verhört haben. Dieser Mann konnte sie doch nicht für eine Mörderin halten. Ohne dass sie es wollte, begann sie ein hysterisches Gelächter, das ihren Körper schüttelte. Sie sah, wie der Arzt ausholte und ihr einen heftigen Schlag ins Gesicht verpasste, doch sie spürte keinen Schmerz. Dafür begann der schneebedeckte Hof der Beginen vor ihren Augen zu schwanken wie ein Boot auf stürmischer See. Die grimmige Miene des Statthalters, der sie anschrie, die alte Uta, die wortlos neben dem Tor stand, und die Lanzen, welche die Soldaten auf sie richteten, verschmolzen zu einer einzigen zähen Masse. Sehr weit entfernt hörte sie die Stimme der Begine, die dem Arzt erklärte, dass sie ihr einen starken Schlaftrunk verabreicht habe, und die sich erkundigte, ob man denn in dem Keller keine Spuren von gefangenen Menschen gefunden habe.
Farnese schüttelte den Kopf. «Das ist Unsinn, Frau! Außer den Leichen der Brüder Osterlamm haben wir in der alten Teppichweberei niemanden gefunden. Und nichts deutet darauf hin, dass jemand gefangen gehalten wurde.» Er kniff ein Auge zusammen und blickte auf Pamela. «Dieses
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