Die Stadt der schwarzen Schwestern
dachte nicht daran, sich in die Sache hineinziehen zu lassen.
«Heute Morgen hat der Statthalter, Herzog Alessandro von Parma, verfügt, dass die Bürger von Oudenaarde vom Einbruch der Dunkelheit an nur noch mit besonderer Erlaubnis auf die Straßen gehen dürfen», erklärte der Edelmann. «Dies gilt nicht für Wundärzte, Hebammen und andere, deren Beruf es verlangt, dass sie auch nach Sonnenuntergang das Haus verlassen. Diese neuen Bestimmungen sollen nach dem Angelusläuten auf dem Markt angeschlagen und dann in den Gassen ausgerufen werden. Diese Frau konnte also unmöglich schon jetzt etwas von Passierscheinen wissen.» Er schaute skeptisch hinauf in den Himmel. «Es sieht auch nicht wirklich dunkel aus, oder?»
«Also war es auch nicht recht, so ein Papier von der Frau zu verlangen», sagte der Priester. Er hob mahnend den Zeigefinger. «Gebe Gott und die heilige Jungfrau, dass die finsteren Zeiten, durch die unsere arme, geprüfte Stadt geht, bald der Vergangenheit angehören. In Zukunft werden in Oudenaarde wieder Recht und Gesetz einziehen, das Recht der heiligen Kirche und das Gesetz unseres rechtmäßigen Königs Philipp aus dem Hause Habsburg.»
«Wie ich Euch kenne, Pater Jakobus, werdet Ihr tun, was in Eurer Macht steht, um Eure wiedergewonnenen Schäfchen mit diesen Gesetzen vertraut zu machen.» Der junge Mann nickte dem Geistlichen zu, doch in seiner Stimme lag auch ein Hauch von Ironie.
«Und was geschieht nun mit dem Weib hier?», brachte sich der Wachsoldat in Erinnerung. «Genehmigung hin oder her. Sie hat sich widerspenstig aufgeführt und mich angegriffen. Ihr habt doch eben selbst gesagt, dass das ein todeswürdiges Vergehen ist.»
Der junge Mann dachte nach. Sein Blick schweifte über den verwaisten Kirchplatz und die still in der Morgensonne daliegenden Häuser. Wohin er auch sah, verrammelte Türen. Nur das Grunzen einiger Schweine verriet, dass die Stadt nicht völlig verlassen war. Die Angst der Menschen lag wie ein fauler Geruch über der Stadt. Nach dem Strafgericht auf dem Grote Markt, wo das Blut der Hingerichteten noch auf den Pflastersteinen klebte, würde es lange dauern, bis die Stadt wieder aus ihrem totenähnlichen Schlaf erwachen würde. Zu lange.
Schließlich nickte er. «Jawohl, wie es aussieht, hast du recht, mein Freund. Sie hätte einen Soldaten unseres Königs, der beauftragt wurde, in den Gassen für Ordnung zu sorgen, nicht einfach angreifen dürfen. Sag mir nur noch eines: Welche Waffe hat sie gegen dich geführt? Ein Schwert? Einen Dolch? Konntest du sie entwaffnen, bevor sie floh?»
Der Kamerad des Söldners konnte nicht mehr länger an sich halten. «Wenn Ihr es genau wissen wollt, Señor: Es war ein Ei», platzte er heraus. «Ein frisches, braunes Hühnerei. Einige Reste von Dotter und Eierschalen könnt Ihr noch im Haar meines Freundes finden.»
«Halt du dich da raus», schrie der Söldner aufgebracht. «Das ist kein Spiel!» Er ballte die Fäuste und hätte sich vermutlich auf seinen Kameraden gestürzt, um ihm einen Fausthieb zu verpassen, wenn der Priester ihn nicht zurückgehalten hätte. Pater Jakobus hatte nun genug von den beiden Unruhestiftern vor seiner Kirche. «Du hast uns genug von unserer Zeit gestohlen. Deine Anschuldigungen gegen die Witwe sind aus der Luft gegriffen. Wenn ihr nicht wollt, dass ich mich beim Statthalter über euch beschwere, solltet ihr jetzt verschwinden. Ihr werdet wohl wissen, dass der Herzog keine Übergriffe auf die Einwohner dieser Stadt zulässt. Die Aufrührer wurden bestraft, die Unschuldigen haben nichts zu befürchten. Darauf gab er uns sein Ehrenwort. Vergesst nicht: Rachsucht ist eine Sünde, die der Herr nicht ungestraft lassen wird! Er sorgt für seine Witwen und Waisen.»
Die beiden Soldaten warfen Griet und dem Mann im schwarzen Wams einen giftigen Blick zu, traten aber den Rückzug an. Vor dem Priester und seinen Warnungen schienen sie keine große Angst zu haben, die Rolle, die der Edelmann spielte, konnten sie indessen nicht einordnen. Möglich, dass er die Macht hatte, sie an einem Strick baumeln zu lassen.
«Und nun zu Euch, Frau», richtete der junge Spanier das Wort an Griet, die noch immer am Boden kauerte. Er forderte sie auf, sich zu erheben, reichte ihr aber nicht die Hand. Der Blick, mit dem er sie maß, war kühl und keineswegs freundlich. «Klärt mich doch einmal über die Gepflogenheiten der hiesigen Einwohner auf. Nimmt eine ehrbare flämische Witwe immer ein Ei mit, wenn sie zur Kirche
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