Die Stadt der schwarzen Schwestern
Sakristei, wo er zielstrebig auf eine vom Holzwurm zerfressene Lade zuging, sie öffnete und ihr einige alte Bücher entnahm. Don Luis sah sich nach einer Kerze um, da es in dem Raum nicht nur kalt, sondern auch dunkel wie in einer Gruft war.
«In meinen Registern werdet Ihr alles finden, was Ihr über diese Leute wissen müsst, mein Freund», erklärte der Pater, während er das erste Buch aufschlug und mit flinken Fingern einige der engbeschriebenen Seiten umblätterte. Don Luis blickte ihm über die Schulter. Mühsam begann er einige flämische Namen zu entziffern, auf die ihn der Priester hinwies. Die Eintragungen dazu waren in lateinischer Sprache, die Don Luis gut genug beherrschte, um zu verstehen, worum es ging. Nach einer Weile fand er sich leidlich zurecht. Mit wachsender Erregung nahm er das nächste Buch zur Hand, das Pater Jakobus auf das Pult gelegt hatte. Ja, die Eintragungen waren echt. Damit waren Zweifel kaum noch möglich. Don Luis’ Auftraggeber hatte sich nicht geirrt.
Don Luis hob langsam den Kopf. Er zitterte, doch lag das nicht an der Kälte in der Sakristei, sondern an der inneren Unruhe, die sich seiner bemächtigte.
«Ich hätte besser nach Jerusalem pilgern sollen», sagte er nachdenklich, nachdem der alte Priester seine Register wieder in der Lade verstaut hatte. «Oder gleich zum Heiligen Vater nach Rom, damit er mich von dieser Last befreit.» Er schüttelte den Kopf. Noch einmal rief er sich in Erinnerung, was er soeben gelesen hatte. Die Berichte über Taufen, Eheschließungen und Todesfälle in der Familie, nach der er forschte, klangen so harmlos. Nichts verriet, welch tödliche Gefahr daraus erwachsen konnte, falls sie in die falschen Hände gerieten.
«Diese Griet Marx ahnt nichts?», vergewisserte er sich leise. «Ist das möglich? Hat ihr Vater denn niemals mit ihr über ihre Herkunft gesprochen?»
Der Pater wusste es nicht. «Ich habe Griet Marx getraut und ihren Mann beerdigt, aber über ihren Vater weiß ich wenig. Nur dass er in Brüssel lebt. Er scheint schwierig zu sein, zu großem Ansehen hat er es nicht gebracht. Seinen Schwiegersohn, den Teppichwirker Marx, mochte er nicht besonders, allerdings hat er sich nie gegen die Obrigkeit erhoben, wie so viele seines Standes.»
Don Luis hatte genug gehört. Er verspürte das Bedürfnis, in die Kirche hinüberzugehen und dort eine Weile die Stille und den Weihrauch auf sich wirken zu lassen. Vielleicht sollte er die Jungfrau um Hilfe für seine Mission bitten. Solche Dinge lagen ihm nicht, er war kein Bücherwurm wie der Pater. Bei jedem waghalsigen militärischen Unternehmen hätte er mit Freuden seinen Hals riskiert, aber bei dem Gedanken, länger als ein paar Tage in einer flandrischen Stadt zu verweilen, begannen seine Hände zu schwitzen. Und um die kratzbürstige junge Witwe zu überwachen, musste er sich darauf einstellen, eine ganze Weile in Oudenaarde zu bleiben.
Er sah Ärger auf sich zukommen, großen Ärger. Ob es ihm noch einmal gelingen würde, die Familie Marx zu schonen? In einer Stadt wie Oudenaarde machten Gerüchte schneller die Runde als ein Humpen Schwarzbier in einer Schenke, und der Hass der Bürger auf Spanier wie ihn saß tief. Wie lange würde es dauern, bis die Ersten anfingen, sich zu fragen, warum ausgerechnet ein Ratsherr verschont geblieben war? Falls sie die Wahrheit errieten, würde Griet Marx nicht lange überleben.
Don Luis de Reon betete nicht. Stattdessen verließ er die Kirche und schlug den Weg zur Posthalterei ein, wo der Statthalter und seine Offiziere Quartier bezogen hatten. Er musste dringend mit Alessandro Farnese sprechen und ihm mitteilen, warum er Oudenaarde noch nicht verlassen konnte.
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Kapitel 4
Griet fand Hanna und Beelken im Haus der Familie Osterlamm, einem mehrstöckigen Gebäude, das mit seinen zackigen Stufengiebeln und dem mit Schindeln gedeckten Türmchen wie der Stadtsitz eines wohlhabenden Edelmanns aussah. Eine hohe, von wilden Weinstauden umrankte Mauer schützte das Haus vor neugierigen Blicken, doch als Griet eintrat, standen die Flügel des Tores so weit offen, dass man den ganzen Hof von der Straße aus einsehen konnte. Auf dem Gelände selbst regte sich nichts. Keine Magd ließ sich im Hof oder an der Tür des Brauhauses sehen, wo sonst viel Trubel herrschte.
Griet musste eine Weile warten, bis jemand auf ihr Klopfen reagierte. Ein Diener öffnete die Tür und musterte sie. Wortlos führte er sie dann die Treppe hinauf zur
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