Die Stadt der schwarzen Schwestern
das Glasfläschchen entkorken, als ein plötzlicher Schmerz im Unterleib ihr den Atem nahm. Er drang durch ihren ganzen Körper und lähmte ihren Rücken, sodass sie in die Knie sank.
Das Kind, dachte sie voller Angst, während weitere Schmerzwellen über sie hinwegrollten. Es hätte nicht vor dem Jahreswechsel kommen sollen, aber offensichtlich kannte der Spott des Schicksals keine Grenzen. Nun kam es. Zu früh, aber es kam. Kein Zweifel war möglich, das spürte sie, als das Ziehen immer stärker wurde. Der Wasserbecher entglitt ihr und machte ein lautes Geräusch. Endlich kam Sinter zu sich. Benommen hob er den Kopf und fragte, was los sei. Und Basse fing an zu weinen.
Beelken starrte auf das Fläschchen in ihrer Hand. Zu spät, dachte sie. Zu spät.
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Kapitel 29
Brüssel, November 1582
Griet bewegte ihre Finger, um das Kribbeln aus der Hand zu vertreiben. Stumm lauschte sie in die Nacht hinein, wartete darauf, dass vom nahen Glockenturm etwas zu hören war. Doch alles war ruhig, kein Laut durchdrang die Stille. Don Luis war ganz in ihrer Nähe, ebenso der alte Dorotheus, aber niemand sprach ein Wort. Am liebsten wäre Griet aufgesprungen und hätte eine Kerze angezündet, denn die Finsternis, in der sie auf ihren vagen Verdacht hin saßen und warteten, begann sich schwer auf ihr Gemüt zu legen.
Und wenn sie sich geirrt hatten?
Griet begann von neuem ihre Finger zu massieren. Es war empfindlich kalt in der Kammer. Aus ihrem Versteck hinter dem Vorhang konnte sie nicht viel mehr als die Umrisse des wuchtigen Kastenbetts sehen, dessen staubige Vorhänge zurückgeschlagen waren. Griets Aufgabe bestand darin, das Fenster im Auge zu behalten und Don Luis im rechten Moment ein Zeichen zu geben.
Nicht einschlafen, befahl sie sich und bemühte sich, die Augen offen zu halten. Einerseits war sie zu aufgeregt, um zu schlafen, andererseits spürte sie, wie die Erschöpfung nach ihr griff. Sie kratzte sich mit den Fingernägeln und sprach alle Gebete nach, an die sie sich erinnerte, nur um wach zu bleiben.
Da. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Ein leises Scharren? Oder spielten Griets Nerven ihr einen Streich? Was auch immer es war, von dem Fenster, das direkt über einem Vordach des Gasthauses lag, kam es nicht. Sollte sie Don Luis auf das kaum hörbare Geräusch hinweisen? Der junge Spanier hatte ihr eingeschärft, keinen Laut von sich zu geben. Nichts sollte darauf hinweisen, dass außer ihm noch jemand in der Kammer war.
Plötzlich bewegte sich die Tür, mit einem feinen Geräusch schwang sie auf. Gerade so viel, dass ein dünner Faden Licht durch den Spalt in die Kammer fiel. Griet hielt den Atem an. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen.
Don Luis hatte sich also nicht geirrt. Sie bekamen nächtlichen Besuch. Griet hörte, wie der Wind um das Haus heulte. Dachschindeln klapperten, und in einem nahen Stall meckerten Ziegen, die der Schneesturm nicht schlafen ließ.
Ganz langsam schob sich ein schwarzer Schatten durch den Türspalt. Lautlos, auf jede Bodendiele achtend, schlüpfte er in die Kammer und drückte lautlos die Tür hinter sich zu. Griet fragte sich, ob Don Luis noch immer auf ihr Zeichen wartete. Vermutlich nicht, die Tür hatte er besser im Blick als sie. Sie konnte erkennen, dass der Mann, dessen Einbruch sie erwartet hatten, starr neben den Kleiderhaken verharrte. Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Griets Blick fiel auf seinen rechten, leicht angewinkelten Arm; vermutlich hielt er ein Messer in der Hand.
Aus dem schmalen Alkoven drang ein verhaltenes Husten, gefolgt von einem Stöhnen.
Der Mann zuckte kurz zusammen und bewegte seinen Kopf, entspannte sich jedoch gleich wieder. Griet begann zu zittern, als der Mann sich langsam und lautlos auf ihr Versteck zu bewegte. Ahnte er, dass sich hinter dem Vorhang jemand verbarg?
Nun blieb er stehen.
Griet wollte bis zur Wand zurückweichen, doch ihre Hände hatten sich gegen ihren Willen um eine Falte des Vorhangstoffs gelegt. Sie konnte den Eindringling nun nicht mehr sehen, was noch schlimmer war, als ihn auf sich zukommen zu wissen. Jeden Augenblick konnte sein Messer ihren Körper durchbohren. Die Angst davor schnürte Griet die Kehle zu.
Dann, eine Ewigkeit später, hörte Griet Schritte, die sich wieder entfernten. Nun wagte sie auch wieder einen Blick durch den winzigen Schlitz des Vorhangstoffs.
Er stand nun direkt vor dem Kastenbett, beugte sich über es und hob langsam den
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