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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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in einer Kirche festgehalten. Vermutlich hat man dort von ihnen verlangt, dass sie ihre Gelübde widerrufen. Ich glaube aber nicht, dass sie darauf eingegangen sind.» Er drückte Griets eiskalte Hand, dann führte er sie zu seinen Lippen und küsste sie. «Vertraut mir, sie werden kommen.»
    Keine zehn Minuten waren vergangen, da bog eine von bewaffneten Stadtknechten, einigen Ratsherren und schaulustigem Volk begleitete Gruppe von Menschen um die Ecke, die an ihren schwarzen Ordensgewändern unschwer als Nonnen zu erkennen waren. Es waren die Letzten, die noch in Brüssel geblieben waren. Nun wurden auch sie gezwungen, die Stadt zu verlassen. Ein langer, elender Zug, der durch den Schnee auf das Tor zu stapfte. Mitnehmen durften die Frauen nur so viel, wie auf einem Handwagen Platz hatte.
    Griet spürte, wie ihr Herz heftig zu klopfen begann. Es war so weit. Nun kam es darauf an, dass weder van Dongen noch sie die Nerven verloren. Sie dankte dem Himmel dafür, dass der Knecht des Wachshändlers die richtigen Gewänder aufgetrieben und der furchtbare Schneeregen aufgehört hatte. Ihr kam es fast vor, als sei es während der letzten Stunde sogar wärmer geworden. Der Himmel zeigte sich eine Spur freundlicher, ein paar Sonnenstrahlen suchten sich ihren Weg durch die graue Wolkendecke. Ein Wunder, wenn man an die vergangenen Tage und Nächte dachte.
    «Ich kann unseren Freund, den Stadthauptmann, nirgends entdecken», sagte Don Luis. «Er könnte jedoch auf einem der Türme oder Wehrgänge stehen.» In seiner Kutte, das Gesicht vollständig von einem Schleier umrahmt, wirkte er nicht mehr wie ein junger Mann, sondern wie ein vom Alter gebeugtes Weib.
    Die Klosterfrauen kamen näher, einige schluchzten. Das Gesicht der Frau, die unter Aufbietung all ihrer Kräfte den Handwagen über den Platz zog, war feuerrot. Niemand von den Umstehenden wagte es, ihr zu helfen. Ungefähr zwanzig Schritte vor dem Tor, hinter dem eine breite Brücke aus Holz über den Stadtgraben führte, ertönte vom Wachtturm der schrille Ton einer Fanfare. Dieses Signal hatte van Dongen abgewartet. Erstaunlich behände sprang er auf den Bock seines Wagens, ergriff die Zügel und fuhr auf das Stadttor zu, dessen Flügel im selben Augenblick aufschwangen. Für die Türmer, Torwächter und Stadtbediensteten, die den Zug der verbannten Nonnen begleiteten, sah es so aus, als habe der Kaufmann die Gewalt über sein Gespann verloren, zumal einige Kisten mit Wachs von der offenen Ladefläche des Karrens fielen und im Schnee landeten.
    Die Klosterfrauen stoben kreischend auseinander, als van Dongens Wagen in voller Fahrt auf sie zuhielt. Diesen Moment des Aufruhrs nutzten Griet und Don Luis, ihr Versteck in der Turmnische zu verlassen und sich unter die Gruppe zu mischen. Niemand bemerkte es. Griet atmete auf, weder die Nonnen noch einer der Stadtknechte achteten auf sie. Alle waren damit beschäftigt, van Dongens Wagen anzuhalten und das Gespann zu bändigen. Erst unmittelbar vor dem Stadttor gelang es einem jungen Wächter mit einem beherzten Sprung auf den Wagen, dem scheinbar überforderten Wachshändler die Zügel aus der Hand zu nehmen und die Pferde zu beruhigen. Währenddessen trieben zwei ältere Stadtknechte die Ordensfrauen wieder zusammen. Unter Verwünschungen, Schimpfworten und Steinwürfen wurden sie über die Brücke gescheucht. Einige übermütige Burschen hatten sich inzwischen auf den Wehrgängen eingefunden, von wo aus sie die ausgewiesenen Frauen mit Schneebällen bewarfen. Direkt neben Griet zerbrach eine Flasche in tausend Scherben.
    «Nicht zurücksehen», mahnte Don Luis. «Blicke geradeaus und neige den Kopf wie die anderen. Noch sind wir in Sichtweite der Torwächter!» Griet hatte auch nicht den Wunsch, noch einmal zurückzusehen. Seit sie Don Luis anvertraut hatte, was sich damals in ihrem Elternhaus ereignet hatte, war ihr klar geworden, dass es möglich war, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen. Sie trug keine Schuld am Schicksal ihrer Mutter. Eines Tages würden das vielleicht auch ihre gefühllosen Körperteile begreifen. Doch war es nicht viel wichtiger, dass Don Luis mit ihrer Behinderung leben konnte? Alle, die sie liebte, konnten das. Darauf kam es an.
    Die Klosterfrauen marschierten stramm. Nicht einmal die ältesten beklagten sich über die Strapazen, allein und frierend dem Weg durch die verschneite Ebene zu folgen. Das Ziel der Frauen war das Kloster Hertoginnedal, in dem die wenigen Nonnen, die sich noch in dem von

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