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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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der Utrechter Union kontrollierten Gebiet aufhielten, bis auf weiteres ihrer Arbeit nachgehen konnten. Wilhelm von Oranien hatte den calvinistischen Räten befohlen, Klöster und Kapellen in Ruhe zu lassen; keinesfalls sollte es während des Krieges zu einem erneuten Bildersturm kommen. Dennoch blieb es fraglich, ob sich Hertoginnedal noch lange würde halten können.
    Griet ging langsamer, ließ sich bereitwillig von den Nonnen überholen. Schweigend stapften die Frauen an ihr vorüber. Sie schienen sich in ihr Schicksal gefügt zu haben, und wenn eine von ihnen von Zeit zu Zeit den Kopf hob, dann nur, um zu prüfen, ob die Priorin noch genug Kraft hatte, um den Handwagen mit ihren Habseligkeiten zu ziehen.
    Gegen Mittag hielt die Priorin an und hob den Arm, womit sie ihre Schwestern zu einer Rast einlud und Anweisung erteilte, sich um den Handwagen zu scharen. Warum, fand Griet heraus, als sie zögernd näher kam. Zwischen alten Kissen und einem Federbett hatte die Frau nicht nur zerfledderte Psalter, Gebetbüchlein und ein Kruzifix versteckt, sondern auch einen Laib Brot, etwas Käse, gedörrtes Obst und eine Lederflasche mit Wasser. Nach einem kurzen Gebet, in das die Nonnen sogleich einstimmten, teilte sie die bescheidene Mahlzeit unter den Mitgliedern der Gruppe auf. Griet und Don Luis erhielten wie selbstverständlich auch ihren Anteil, wobei die Priorin, eine kräftige Frau mit energischen Gesichtszügen und einem leicht vorstehenden Kinn, sie kurz, aber eindringlich musterte. «Noch zwei Seelen, die sich unter den Schutz der heiligen Jungfrau stellen wollen?» Sie hatte sie durchschaut. Ohne Widerworte gelten zu lassen, schob sie Griet auf einem großen hölzernen Löffel ein Stück Käse zu. «Nun, ich frage nicht, warum Ihr Euch verkleidet habt, um unser Schicksal zu teilen. Das habe ich die beiden anderen auch nicht gefragt.»
    Don Luis fand, es sei nun an der Zeit, sich seiner Nonnengewänder zu entledigen. Überraschtes Gemurmel lief durch die Reihen der schweigsamen Schwestern. Einen jungen, gutaussehenden Mann hatte wohl keine der Frauen unter dem schwarzen Habit erwartet. Neugierig spähten sie zu Don Luis hinüber und tuschelten. Die alte Priorin lächelte, sie schien amüsiert.
    «Von welchen anderen sprecht Ihr?», wollte Don Luis wissen.
    «Nun, ich mag alt sein, aber blind bin ich keineswegs. Ich habe schon am Tor in Brüssel bemerkt, dass meiner Herde vier weitere Schafe zugelaufen sind. Wie mir scheint, seid ihr unabhängig voneinander auf dieselbe Idee gekommen, euch uns anzuschließen. Schlau, das muss ich schon sagen. Schließlich waren die neuen Ratsherren froh, uns los zu sein. Weder zählten sie nach, wie viele wir waren, noch schauten sie uns noch einmal an.» Wieder lachte sie, wobei sich ihr Gesicht in lauter Falten legte. «Die Frau habe ich gleich wiedererkannt. Sie ist älter. Unsere Schwestern im Kloster zu Hertoginnedal haben ihr und ihren Mitschwestern einige Jahre Asyl unter ihrem Dach gewährt. Ist es zu begreifen, warum das Leben manchmal Narren aus uns macht? Nun sind wir es, die an fremde Türen klopfen und um ein Nachtlager bitten müssen.»
    Die Nonnen seufzten.
    Griet durchfuhr ein Schauer. Sie warf Don Luis einen Blick zu und bemerkte, wie auch er nach Luft schnappte. «Cäcilia? Sie ist hier?»
    Die Priorin hob erstaunt die Augenbrauen. «Ach, Ihr kennt sie? Nun, vor einer Stunde lief sie noch hinter meinem Handwagen her, neben ihr der Mann, der wie Euer Begleiter unsere Tracht gewählt hat.»
    «Und wo sind sie jetzt?» Griet schaute über die weiten, schneebedeckten Felder, über die nur ein paar schwarze Vögel hüpften. Fern am Horizont waren noch die Mauern und Türme von Brüssel zu erkennen. Niemand war zu sehen.
    Die Priorin kniff die Augen zusammen, weil der Schnee sie blendete. «Sonderbar. Warum hat sie sich aus dem Staub gemacht? Als unsere Blicke sich kreuzten, legte sie einen Finger auf ihre Lippen und bat mich, sie nicht anzusprechen, was ich selbstverständlich respektierte. Ich nahm an, dass sie mit uns nach Hertoginnedal ziehen würde. Dort war sie doch lange zu Hause und fühlte sich wohl.»
    Don Luis war anzusehen, dass er am liebsten geflucht hätte. Griet ging es ebenso. Sie selbst hatte während des Marsches immer wieder darüber nachgedacht, was sie nun, nachdem der Handlanger des Pilgers tot war, anfangen sollte. Sie durfte nicht mehr länger warten. Sie musste nach Oudenaarde zurückkehren. Das bedrückende Gefühl, dass ihr Kind dort in

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