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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Nachbarn erklären, ging es ihr durch den Kopf. Nun würde man sie doch erst recht für eine Verräterin halten.
    «Natürlich hätten wir auch noch eine weitere Nacht unter freiem Himmel zubringen und erst morgen in die Stadt zurückkehren können, aber das Wetter scheint umzuschlagen», sagte Don Luis. «Es ist hierzulande doch recht tückisch. Vermutlich zieht bald ein Unwetter auf, das die Straßen unpassierbar macht.»
    «Was erwartet Ihr von den Ardennen?», stieß Griet giftig hervor. «Wenn Ihr Eure bleichen Wangen wärmen wollt, wärt Ihr besser in der Mancha geblieben.»
    «Ich glaube nicht, dass unser Freund, Don Luis, die Schönheit Eurer flandrischen Heimat herabsetzen wollte», griff der Statthalter schlichtend ein. Er lächelte nicht. Seiner Miene nach schien ihm auch nicht nach einem Fest im Haus eines unterworfenen Flamen zu sein. «Es war mir ein Bedürfnis, das Haus Marx ein wenig näher kennenzulernen», sagte er nach einer Pause. «Wandteppiche gelten seit langem als der wahre Reichtum dieser Stadt. Sie haben Oudenaarde einst zum Juwel der flämischen Ardennen gemacht, und es gibt kaum ein Weberzeichen, das im Habsburgerreich bekannter ist als das des Hauses Marx.»
    Griet wusste, dass sie auf dieses Lob reagieren musste, daher rang sie sich ein dünnes Lächeln ab. «Ihr seid zu gütig, Euer Gnaden. Vielleicht möchtet Ihr einige unserer Arbeiten besichtigen, solange Euer wilder Eber noch am Spieß garen muss?»
    «Eine ausgezeichnete Idee.»
    Griet rief Geleyn, der ihr die Schlüssel zum Gewölbe brachte. Dann bat sie den Statthalter, ihr hinter das Haus zu folgen. «Von mir aus könnt Ihr auch mitkommen», sagte sie zu Don Luis. Es klang schroffer als beabsichtigt. Vielleicht war es ungerecht, den jungen Mann ihren Unmut spüren zu lassen, aber sie konnte sich nicht bremsen. Schließlich war auch er ein Spanier. Davon abgesehen wurde sie den Verdacht nicht los, dass Don Luis dafür verantwortlich war, dass sich sein Herr bei ihr einnistete. Was er damit anrichtete, ahnte er vermutlich gar nicht. Griet spähte vorsichtig über die Schulter zu den Nachbarn, die noch immer am Tor standen und sie beobachteten. Die Mienen der Männer und Frauen verhießen nichts Gutes. Sie würde sich den Mund fusselig reden müssen, um die Leute zu beruhigen.
    Kurz darauf stand sie mit den beiden Männern in einem weiß gekalkten Gewölbe, das vom Fußboden bis hinauf zur Decke mit Wandteppichen verkleidet war. Die größten Stücke zählten nicht weniger als fünfzehn Ellen und verhüllten das kahle Mauerwerk so komplett, dass man sich beinahe in einem herrschaftlichen Palast wähnte.
    «Donnerwetter», sagte Farnese nach einer Weile. «Ich habe nie zuvor etwas so Wunderbares gesehen. Euer Gemahl und sein Vater waren in der Tat Meister ihres Handwerks.» Er senkte die Stimme, als befände er sich in einer Kirche. Langsam schritt er die Wände ab, lobte die Farbenpracht der schillernden Fäden und pries die exakten Strukturen, die keine Unregelmäßigkeit aufwiesen, sowie die Auswahl der Motive. Das Mienenspiel und die Gestik der abgebildeten Figuren beschrieben Menschen, die in der Tat so lebendig wirkten, dass Don Luis den Eindruck gewann, sie könnten jeden Augenblick ihre Glieder bewegen oder ihn anstarren. Griet, die sich des Zaubers, den die Teppiche auf ihre Betrachter ausübten, bewusst war, lächelte. Eilig zündete sie Kerzen und Lampen an, bis der kleine Raum in hellem Glanz erstrahlte.
    «Diese Teppiche zeigen immer wieder denselben Mann», fiel Don Luis auf. Er deutete auf drei Wandbehänge, die im hinteren Teil des Raumes über einem Gestell hingen. «Verzeiht mir, Herzog, aber ich habe den Eindruck, dass der stattliche Bursche in der Rüstung Euch ein wenig ähnlich sieht.»
    «Unfug, Mann», herrschte Farnese ihn an. «Seid Ihr blind? Das ist Alexander der Große, einer der bedeutendsten Feldherren, die jemals gelebt haben.» Er durchquerte den Raum mit schnellen Schritten und zog die Handschuhe aus, um das feine Gewebe zu berühren. «Hier steht er am Fluss Granikos», erklärte er beinahe andachtsvoll. «Auf diesem empfängt er seine Krone, und dort sieht man ihn vor dem jüdischen Hohepriester, nachdem er die heilige Stadt Jerusalem eingenommen hat. Der Priester trägt eine besondere Kopfbedeckung, auf der der Gottesname zu lesen ist.»
    Er holte tief Luft, bevor er Griet mit einem finsteren Blick maß. Ohne jede Vorwarnung schlug die Stimmung um. Im Gewölbe schien es noch kälter zu werden.

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