Die Stadt der schwarzen Schwestern
Steinboden gescheuert und Staub und Spinnweben entfernt, doch die Halle wirkte nach wie vor abweisend und düster.
«Das liegt an den Bäumen vor dem Haus und an dem Efeu, der sich über die hohen Fenster gelegt hat», sagte Griet, die den Eindruck hatte, sich rechtfertigen zu müssen. «Das Gestrüpp lässt leider nur wenig Licht herein. An trüben Tagen ist es daher so dunkel, dass wir schon vor dem Angelusläuten eine Lampe anzünden müssen.» Um nicht noch länger über das Haus sprechen zu müssen, öffnete sie rasch die Tür zu dem Raum, in dem sie ihre Schreibstube eingerichtet hatte. Die war zwar nicht geräumig, aber Griet gefiel sie, weil sie nicht nur ein schmuckes gotisches Fenster besaß, sondern auch eine kleine Apsis, welche zu Zeiten der Klosterschwestern eine Heiligenfigur beherbergt hatte. Diese gab es längst nicht mehr, doch dafür bot die Nische genügend Platz für Griets Rechnungsbücher. Ein Stehpult, ein Wandteppich von der Manufaktur Marx, den Griet vor dem Verkauf hatte retten können, und zwei bequeme Scherensessel mit braunen Lederpolstern rundeten die Einrichtung ab.
Pamela nahm weder Platz, noch hielt sie sich mit langen Vorreden auf. Griets Frage, was sie zu ihr führe, beantwortete die junge Frau, indem sie wortlos einen wappengeschmückten Ring auf das Pult legte. Griet erkannte ihn sogleich wieder. Er hatte Pamelas Vater gehört; Adam und Coen hatten ihn am Gerichtstag auf dem Grote Markt an sich genommen. Wie Pamela nun zu dem Kleinod kam, vermochte Griet nicht zu sagen.
«Gebt Ihr mir für den Ring von Oudenaarde einen Eurer Briefe?» Pamela fragte das fast trotzig, wobei sie auch noch abwartend die Arme vor der Brust verschränkte. Griet warf ihr einen verwunderten Blick zu; sie hatte es nicht für möglich gehalten, dass Pamela überhaupt wusste, mit welchen Geschäften sich Griet befasste. Doch wie es aussah, war die Tochter des früheren Bürgermeisters genau unterrichtet. Griet beschloss, sie nicht anders zu behandeln als ihre männliche Kundschaft, denn bestimmt war es dem Mädchen schwergefallen, sie hier aufzusuchen. Zögerlich nahm sie den Ring in Augenschein. Er wog schwer in ihrer Hand, war hervorragend gearbeitet und mit seinen eingelegten Rubinen ein kleines Vermögen wert. Für Pamela schien er außerdem auch noch einen ideellen Wert zu besitzen, der nicht einzuschätzen war.
«Warum wollt Ihr den Ring von mir versichern lassen?», fragte sie nach einer Weile. «Befürchtet Ihr seinen Verlust?»
Pamela zuckte mit den Achseln. «Meine Mutter hat ihn mir versprochen, aber Adam …» Sie atmete tief durch, dann erklärte sie widerstrebend, dass sie den Ring aus dem Schrank in der Prunkstube genommen hatte, weil sie befürchtete, ihr Bruder würde ihn verkaufen, ohne sie auch nur um Erlaubnis zu bitten. Griet begriff. Seit dem Tod ihres Vaters war Pamela auf den guten Willen ihrer Brüder angewiesen, musste ihre Launen über sich ergehen lassen, ohne jede Möglichkeit, sich zu wehren. Der goldene Ring war das einzige Stück von Wert, das sie besaß, zumindest nach Wunsch und Willen ihrer Mutter, doch selbst dieses Andenken sollte ihr von Adam und Coen genommen werden. Griet konnte sich vorstellen, wie Adam reagierte, sobald er entdeckte, dass der Ring verschwunden war. Sie konnte nicht umhin, den Mut des Mädchens zu bewundern. Es war mit Sicherheit gefährlich, sich Adam zu widersetzen.
«Versteht Ihr nun, warum ich Euch aufgesucht habe? Wenn ich Euren Brief erworben habe, fühle ich mich sicherer. Dann wird es mir auch leichter fallen, meinen Brüdern zu begegnen. Sollten sie mir meinen Ring wegnehmen …»
Griet ging hinüber zu der Nische, wo sie einige Seiten dichtbeschriebenen Pergaments verwahrte. Sie enthielten ein Reglement, das sie und Don Luis gemeinsam aufgesetzt hatten. Das Reglement spielte in einer langen Liste von Fragen und Antworten verschiedene Fälle durch, bei denen es um Schaden, Verlust und Entschädigung ging, es sollte Griet helfen, bei der Beurteilung ihrer Fälle einheitliche Maßstäbe anzulegen. Sie vertiefte sich in einige der Blätter, bevor sie sich wieder Pamela zuwandte.
«Normalerweise müsste ich zuerst Erkundigungen einholen, um sicherzugehen, dass es sich bei dem kostbaren Stück tatsächlich um Euer Eigentum handelt, versteht Ihr? Gewiss hat Euer Vater ein Testament hinterlassen oder im Beisein von Zeugen erwähnt, dass Ihr den Ring bekommen sollt.»
Pamelas Augen blitzten erschrocken auf, ihr Blick verriet Griet, dass
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