Die Stadt der schwarzen Schwestern
hatte ihr beigebracht, sich über die Regierung der Habsburger in Flandern und Brabant nicht den Kopf zu zerbrechen. Er war der Meinung, er sei der Krone Gefolgschaft schuldig, was nicht hieß, dass er freundliche Gefühle für die spanischen Truppen hegte, deren Garnisonen nun überall im Land lagen. Die Provinzen des Nordens hatten sich im vergangenen Jahr für unabhängig erklärt, doch dem Süden schien ein anderes Schicksal beschieden zu sein.
Griet sah zu, wie die Sonne langsam hinter den Dächern der Häuser verschwand. Der Turm der Sint-Walburgakerk schien in ihrem sanften gelben Schein zu brennen wie eine Opferkerze. Plötzlich sah Griet Beelken über den Hof auf sich zu eilen. Das Mädchen schien außer sich und machte beim Gehen so ungelenke Bewegungen, dass sie mehrmals stolperte und in ihren ausgetretenen Holzpantinen nur mit Mühe das Gleichgewicht hielt.
«Ist Basse bei Euch?», rief sie Griet zu. Es klang panisch.
Basse? Griets Herz zog sich in einem Krampf zusammen. Nein, das war er nicht. Sie hatte das Kind seit Stunden nicht mehr gesehen, jedoch angenommen, es sei bei Beelken im Pförtnerhäuschen.
Beelken japste und keuchte. Ihre Hände wie so oft schützend vor dem Bauch, berichtete sie, dass es Basse im Haus zu langweilig geworden sei und er sie darum gebeten hatte, zum Kloster laufen und vor dem Portal auf Griet warten zu dürfen.
«Ich schwöre, dass ich den Kleinen immer im Auge behalten habe», heulte Beelken, während Griet sie aus großen Augen anstarrte. «Aber dann hat … sich mein Kind gerührt, es war so heftig, dass ich …» Sie atmete tief ein, bevor sie weitersprechen konnte. «Als ich wieder hinübersah, stand er nicht mehr vor der Tür.»
Griet schüttelte Beelken an den Schultern und zwang sie, sich ein wenig zu beruhigen, obwohl sie selbst alles andere als ruhig war.
«Sagt, dass er zu Euch ins Haus kam», jammerte Beelken flehentlich.
Griet schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht der Fall, und das wussten beide. Basse reichte nicht einmal auf Zehenspitzen bis an die Klinke heran, und es gab weit und breit nichts auf dem Hof, worauf sich der Junge hätte stellen können, um sie herunterzudrücken. Davon abgesehen hatte Griet ihm strengstens verboten, das alte Gebäude ohne ihre Erlaubnis zu betreten. Basse war zwar aufgeweckt, doch für gewöhnlich auch gehorsam.
Griet rannte um das Klostergebäude herum, folgte der mit allerlei Sträuchern und Efeu überwucherten Mauer bis zu dem kleinen, verwahrlosten Friedhof. Dabei rief sie ständig Basses Namen. Manchmal versteckte er sich vor Beelken hinter einem der verwitterten Steine, da diese einen gewaltigen Eindruck auf ihn zu machen schienen. Doch er war nicht dort, das sah Griet sofort. Ihre Angst wurde größer, sie schnappte nach ihr, bis ihr Herz den eigenen Schlägen kaum noch standzuhalten schien. Ihr tauber Arm wurde heiß und begann zu zucken.
Sie musste weitersuchen, nur weil ihr Körper sich ihr wieder verweigerte, durfte sie nicht aufgeben. Irgendwo steckte Basse, er war ganz in der Nähe, das spürte sie. Er brauchte ihre Hilfe. Lieber Gott, lass mich ihn finden, betete sie verzweifelt. Als sie zurück zum Vorhof lief, stieß sie dort auf die verheulte Beelken.
«Wo ist mein Vater?», brüllte Griet das Mädchen an. «Er soll gefälligst nicht auf der faulen Haut liegen, sondern uns suchen helfen!»
«Herr Sinter ist nicht da. Er hat das Haus schon ganz früh verlassen, weil er mit jemandem sprechen musste. Aber …» Beelken zögerte.
«Was noch?»
«Seine Kleider sind auch nicht mehr da. Ich habe es bemerkt, als ich die Stube nach Basse absuchte. Es ist alles fort.»
Vor Griets Augen zogen schwarze Wolken auf, so dicht, dass sie nicht nur ihren Blick auf das windschiefe Häuschen mit dem Wetterhahn, die brüchige Mauer und das Tor verhinderten, sondern auch noch jedes Geräusch verschluckten, das sich in ihrer Nähe regte. Es dauerte Momente, die Griet wie eine Ewigkeit vorkamen, bis die Wolke weiterzog und ihr erlaubte, wieder zu Verstand zu kommen.
Ihr Vater war also fort, fiel ihr ein. Er hatte seine Sachen gepackt und war ohne ein Wort der Erklärung verschwunden.
Und Basse mit ihm. Aber warum?
Draußen auf der Gasse schoben sich einige Menschen vor das Tor. Beelkens Geschrei hatte sie herbeigerufen. Ein paar ältere Frauen aus der Nachbarschaft blickten Griet aus runzeligen Gesichtern voller Mitgefühl an, bevor sie Beelken etwas zuflüsterten und dann kehrtmachten.
«Sie wollen uns bei
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