Die Stadt der schwarzen Schwestern
der Kirche und wartete auf sie.
«Wir müssen reden, Tochter!»
«Ach, müssen wir?»
Der grauhaarige Mann nickte. Er war von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, sogar einen Ring trug er am Finger; Griet hatte die Rechnung des Gewandschneiders in ihrem Kontor auf dem Schreibpult gefunden, aber kein Wort darüber verloren. Vermutlich würden in Kürze weitere Rechnungen folgen.
«Du kannst doch nicht ewig schmollen, Griet. Irgendwann musst du dein Schneckenhaus verlassen und …»
«Falsch!», unterbrach ihn Griet, während sie mit Basse über den Platz schritt. Schmollte sie? Nein, keineswegs. Sie schmollte, wenn Kunden sie warten ließen oder wenn das Nachtessen kalt wurde, weil die Familie unpünktlich war. Wenn das eigene Kind verschwand und sie Angst haben musste, es tot aus einem Loch zu ziehen, war das kein Grund zu schmollen, sondern vor Wut und Verzweiflung krank zu werden.
Griet war jedoch nicht krank geworden, das hatte sie sich einfach nicht erlaubt. Dafür hatte sie Basse stundenlang mit Zucker und Milchbrei gefüttert, bis es dem Jungen schon fast zu den Ohren herausgekommen war. Sie hatte ihm in einem Zuber die Haut rotgeschrubbt, obwohl er gar nicht schmutzig gewesen war. Und sie hatte ihren Vater mit stoischer Ruhe übersehen und war aus dem Haus gelaufen, wann immer er mit ihr hatte reden wollen.
«Du tust gerade so, als hätte ich die Katze ersäuft», beschwerte sich Sinter, der Mühe hatte, mit Griet Schritt zu halten. Keuchend versuchte er, an ihrer Seite zu bleiben. «Dabei hätte ich doch genauso viel Angst um den Jungen ausgestanden, wenn ich geahnt hätte, dass du ihn vermisst.» Er zerrte an Griets Ärmel. «Darf ich dich daran erinnern, dass die verflixten Kerle meine Kleider zerrissen und in den Dreck geworfen haben, um dich zu ängstigen?»
Griet blieb stehen. Alles stand ihr wieder vor Augen: die lähmende Angst, als sie das kleine Bündel gesehen hatte, die Ohnmacht. «Tut mir leid um deine Hemden und Hosen», zischte sie Sinter an. «Aber wie ich sehe, hat der Gewandschneider gute Arbeit geleistet. Falls du seine Rechnung suchst, die liegt in meinem Kontor.»
Inzwischen hatten die drei das Haus in der Wijngaardstraat erreicht. Griet stieß das Tor auf und ging ins Pförtnerhäuschen, aus dem der Duft gebratenen Fleisches drang. Sinter folgte ihr.
«Ich wollte dich eigentlich bitten, die paar Dukaten für mich auszulegen, bis ich wieder zu Hause in Brüssel bin und an mein Geld herankomme», sagte Sinter mit einem entwaffnenden Lächeln. Vorsichtig berührte er Griets Arm. «Nun komm schon, sei mir nicht mehr böse!»
Griet senkte den Blick und gab sich geschlagen. Er hatte ja recht, überlegte sie. Sie zürnte dem Esel und schlug den Sattel. Nicht ihr Vater hatte ihr diesen bösen Streich gespielt. Er hatte Basse mitgenommen, ohne Beelken oder ihr Bescheid zu sagen, aber wie hätte er ahnen sollen, dass jemand in der Zwischenzeit einbrach, die Katze erschlug und alles so herrichtete, dass Griet sich fast zu Tode erschreckte?
«Wie kommt es, dass der verrückte Tyll dich allein hat weggehen sehen?», fragte Griet, als sie später beim Abendbrot saßen. Das Fleisch schmeckte gut, trotzdem hatte Griet nur wenig Appetit.
«Du meinst den Kerl mit den Vogelfedern?» Sinter nahm einen Schluck Dünnbier. «Ganz einfach. Nachdem ich im Wirtshaus ein wenig gewürfelt hatte, ging ich nach Hause, weil …»
«… dir das Geld ausgegangen war?»
«Du bist so einfühlsam wie ein Mühlrad. Woher hast du das nur? Gewiss nicht von meiner Isabelle. Nun ja, jedenfalls fiel mir ein, dass ich dem Kleinen versprochen hatte, ihn hinunter zur Schelde mitzunehmen, damit er sich de Lijs’ Frachtkähne anschauen kann. So was begeistert Kinder. Wir verließen den Hof durch die Seitenpforte, weil sie näher am Fluss liegt. Deswegen hat uns niemand gesehen.»
«Ich begreife einfach nicht, wer zu so etwas fähig ist.» Beelken schenkte Sinter Bier nach, bevor sie wieder zum Löffel griff, um Basse mit kleingeschnittenem Gemüse zu füttern. «Ihr hättet die Angelegenheit vor den Statthalter bringen sollen.»
Davon hielt Griet gar nichts. In ihrer Not hatte sie zwar vorgehabt, Farnese um Hilfe zu bitten, aber nun war sie froh, dass es dazu nicht gekommen war. Dafür sehnte sie Don Luis’ Rückkehr herbei. In der Kirche hatte sie nach ihm Ausschau gehalten, vergeblich. Sie konnte nur hoffen, dass seine Aufträge für den Statthalter ihn überhaupt wieder nach Oudenaarde führten.
«Jemand möchte
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