Die Stadt der schwarzen Schwestern
verband.
«Sei nicht dumm, Griet!» De Lijs ließ sich auf seinem Lehnstuhl nieder. Das Fenster stand noch immer weit offen. Irgendjemand musste Griet um Hilfe rufen gehört haben. Doch gekommen war niemand.
«Nichts hat sich geändert, hörst du? Überhaupt nichts. Ich werde dir weiterhin behilflich sein, aber du wirst dich künftig anders erkenntlich zeigen als mit ein paar dürftigen Dankesworten. Ich werde dich zu einer reichen, geachteten Frau machen, Griet. Vor deiner Heirat gehörtest du doch dem niederen Adel an, nicht wahr?»
«Das ist lange her. Willem war mir wichtiger.»
De Lijs lachte auf. «Dein treusorgender Mann war hier in Oudenaarde hinter jedem Rock her. Du hast nur die Augen davor verschlossen. Wenn du wüsstest, wie oft ich dich damals in die Arme nehmen wollte. Aber genug davon. Mit meiner Hilfe wirst du die Macht und den Einfluss erlangen, um mit Burschen wie den Osterlamms oder dem spanischen Wichtigtuer, der dir im Kontor auf die Nerven geht, abzurechnen.»
Griet war wie betäubt, als sie sich auf den Heimweg machte. Die Morgengeräusche der Stadt nahm sie ebenso wenig wahr wie die Grüße ihrer Nachbarn oder das Angebot des verrückten Tyll, sich eine seiner Federn ins Haar zu stecken.
Nichts hat sich verändert, gar nichts ist geschehen, redete sie sich ein, um das Gefühl von Übelkeit zu verjagen, das bei jedem Schritt ihren Magen erbeben ließ. Im Pförtnerhäuschen war es still. Ihr Vater hatte angekündigt, nach dem Frühstück mit Beelken und Basse zu Pieter Rink zu gehen, um neue Briefe abzuholen. Griet zog sich in ihre Schlafkammer zurück und warf sich verzweifelt aufs Bett. Warum war ihr Leben nur so unerträglich kompliziert geworden? Hatte ein Schicksalsschlag denn nicht gereicht? Mussten weitere sich wie eine Kette um ihren Hals legen, die so schwer war, dass sie sie zu Boden zog? Sie dachte an de Lijs’ Worte und fragte sich, warum sie ihr überhaupt noch im Kopf herumgingen. Sein Angebot, ihr zu Reichtum und Macht zu verhelfen, falls sie seine Geliebte würde, hatte in ihr nur Verachtung ausgelöst, und doch war sie unsicher geworden. Hatte sie nicht erfahren müssen, was es bedeutete, als Witwe herumgestoßen zu werden? Und warum hatte de Lijs so gemein über Willem gesprochen? Gewiss nur, um sie für ihren Widerstand zu bestrafen. Willem hatte sie schon angebetet, als er noch ein halber Knabe gewesen war, für andere Frauen hatte er nichts übrig gehabt. Oder doch?
Griet vergrub ihren Kopf in dem Kissen und dachte nach. De Lijs hatte ihr verboten, darüber zu sprechen, was in seinem Kontor geschehen war.
War denn etwas geschehen?
Hielt sie sich nicht daran, würde er sie ruinieren. Er brauchte nur seine nächste Weinlieferung verschwinden zu lassen; gemeinsam mit Adam und Coen würde es ihm ein Leichtes sein, ihr auch alle übrigen Kunden abspenstig zu machen.
«Ich werde mich nicht von de Lijs vergiften lassen», nahm sie sich vor. Kurz darauf fiel sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst erwachte, als sie Basse nebenan vergnügt singen hörte.
Die nächsten Tage verbrachte Griet im Kontor, wo sie sich in die Arbeit stürzte. Es gab viel zu tun. Noch immer arbeitete sie an dem Reglement, ergänzte es durch immer neue Passagen und Ausnahmen. Die Beschäftigung damit und die Beratung neuer Kunden taten ihr gut, und wäre der neue Hausknecht, ein maulfauler Bursche namens Remeus, nicht gewesen, der tagsüber auf den Stufen der Klostertreppe hockte und döste, hätte sie den Morgen in de Lijs’ Haus vermutlich bald als bösen Traum abgetan. Das schmierige Lächeln des Mannes, der ihr nur mit mäßigem Respekt begegnete, rief ihr jedoch immer wieder in Erinnerung, dass sie nicht geträumt hatte. Zu Griets Erleichterung ließ sich de Lijs bis in den November hinein nicht bei ihr blicken.
Doch die nächste unangenehme Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. An einem frostigen Wintermorgen lockte Hufgetrappel Griet vor die Tür. Über Nacht hatte es ein wenig geschneit, sodass die Dächer des Klostergebäudes wie auch das Pförtnerhäuschen weiß bestäubt waren. Ein unangenehmer Wind rüttelte an Türen und Läden und verwehte die Schneespuren auf den Pflastersteinen.
Don Luis kam Griet mit schnellen Schritten entgegen, nachdem er die Zügel seines Pferdes am Torpfosten befestigt hatte.
«Wie ich sehe, seid Ihr zurück», empfing ihn Griet. Sie verspürte Herzklopfen und hoffte, dass der junge Mann das nicht bemerkte.
«Habt Ihr mich vermisst,
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